: Demontage im Namen der Wahrheit
„Panorama“-Sendung stellt die Verdienste des Nazijägers Simon Wiesenthal in Frage. Ein US-Experte: In allen großen Fällen habe er versagt. Der Angriffene will eventuell klagen ■ Aus Hamburg Jan Feddersen
Gegenseitig rühmen sie sich ihrer Freundschaft, Bundeskanzler Helmut Kohl und Simon Wiesenthal, Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien. Der als „Nazijäger“ bekannte Österreicher rief dieser Tage den Freund an, nur um zu fragen, ob es richtig sei, daß ein kritischer Bericht über ihn im TV-Magazin „Panorama“ ausgestrahlt werde. Dessen Medienreferent wendete sich umgehend an die Redaktion des Magazins beim NDR. „Nur um sich nach den Quellen zu erkundigen“, wie „Panorama“-Chef Joachim Wagner gestern kurz vor der Sendung versicherte.
Und genau die scheinen gesichert. Richtig ist, daß das Magazin nach monatelangen Recherchen von Volker Steinhoff und John Goetz behauptet, daß der heute 87jährige Wiesenthal immer am Rande der Wahrheit arbeitete.
So habe Wiesenthal stets behauptet, viel dazu beigetragen zu haben, daß Adolf Eichmann 1961 in Argentinien gefaßt werden konnte. Isser Harel, Chef des israelischen Geheimdienstes zur Zeit der Eichmann-Operation, erklärte nun: „Wir haben von Wiesenthal nichts bekommen, das von irgendwelcher Bedeutung für die Operation war.“
Auch dem KZ-Arzt Josef Mengele war Wiesenthal nach eigenem Bekunden jahrelang auf den Fersen. Die Recherchen indes ergaben, daß ein Teil der Geschichten frei erfunden war – wie auch die im Falle Martin Bormanns, der „erwiesenermaßen“ seit 1945 tot ist und von Wiesenthal dennoch jahrelang in allen möglichen Ländern gesehen wurde.
Eli Rosenbau, Direktor jener Abteilung beim US-Justizministerium, die für die Verfolgung von Altnazis zuständig ist, erklärte sogar, daß Wiesenthal in vielen Fäller der Arbeit seiner Behörde geschadet habe. Eine von ihm der kanadischen Regierung übergebene Liste mit Namen von 217 Offizieren der SS-Division „Galizien“ sei „fast völlig nutzlos“ gewesen, habe nur „eine beträchtliche Menge von sinnloser Arbeit“ gemacht. Auch die Zahl der von Wiesenthal angeblich ins Rollen gebrachten 1.100 Fälle stimme nicht, richtig seien „weniger“ als zehn.
Am verhängnisvollsten habe sich das Wirken des mit etlichen Orden bedachten und hohe moralische Autorität genießenden Wiesenthals allerdings bei der Aufklärung um die Vergangenheit des früheren UNO-Generalsekretärs Kurt Waldheim ausgewirkt: Erst sein „Persilschein“ (Beate Klarsfeld) habe dafür gesorgt, daß der frühere SA-Mann tatsächlich knapp zum österreichischen Bundespräsidenten gewählt wurde. Noch heute bedauert der Historiker Manfred Messerschmidt von der Waldheim-Kommission, daß weitere Forschungen nicht getätigt werden konnten: „Der UNO-Präsident hat gelogen. Er hat etwas verschwiegen.“ Wiesenthal, so „Panorama“, habe sogar versucht, die US-Behörden davon abzubringen, Waldheim die Einreise in die USA zu verweigern. Rosenbaum: „Ohne seine Unterstützung wäre Waldheim kein Präsident geworden.“
Der Kritisierte wollte vor den Kameras des NDR nichts zu den Anschuldigungen sagen – es sei denn, seine Kritiker kämen nicht zu Wort. Dies lehnte die Redaktion ab. Inzwischen hat er seine Anwälte beauftragt, im Falle von Beleidigungen den Sender zu verklagen. „Panorama“-Chef Joachim Wagner versteht den TV- Beitrag als zeitgeschichtliches Dokument. „Gerade Wiesenthal hat immer gesagt, daß die Wahrheit keine Kompromisse eingehen dürfe. Unsere Aufgabe ist nun, die Wahrheit herauszufinden – ehe es die Geschichtsrevisionisten tun.“
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