: „Vernebelt und verheimlicht“
■ PUA Polizeiskandal: Staatsanwalt erhebt schwere Vorwürfe gegen die Polizeiführung / „Corpsgeist nicht zu leugnen“
Der Hamburger Oberstaatsanwalt Martin Köhnke hat schwere Vorwürfe gegen die Hamburger Polizeiführung wegen ihres Verhaltens im Polizeiskandal erhoben: „Dort ist vernebelt und verheimlicht worden“, kritisierte Köhnke gestern vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuß (PUA) Polizeiskandal der Bürgerschaft. Das Verhalten der Polizeiführung angesichts der Vorwürfe von Übergriffen durch Polizeibeamte habe ihn erschreckt: „Dort ist nie Klartext gesprochen worden“, stellte der für Ermittlungen gegen Polizeibeamte zuständige Staatsanwalt fest.
Nach den Erfahrungen Köhnkes gibt es innerhalb der Polizei immer wieder abgesprochene Aussagen. „Manchmal mußten wir keine Fragen mehr stellen, weil die Zeugen schon die Antworten mitbrachten“, berichtete der Staatsanwalt aus der Erfahrung von 300 Vernehmungen. Es müsse „Angst machen, daß Aussagen auch falsch abgestimmt worden sind“. In diesem Ausmaß habe er dies bisher nur im Bereich der Schwerkriminalität erlebt.
Innerhalb der Polizei ist nach Ansicht Köhnkes „das Vorhandensein von Kameraderie und Corpsgeist nicht zu leugnen“. Die sei ein „negativer Ausfluß des zwingend notwendigen Schulterschlusses von Polizisten“. Die Beamten bekämen häufig unpräzise Revierbefehle und unterlägen „auf allen Ebenen unzureichender Dienst- und Führungsaufsicht“.
Für junge Polizisten seien „Hardliner als Gruppenführer falsche Leitfiguren“. Die Polizisten würden mit schlechten Arbeitsbedingungen in sozialen Brennpunkten allein gelassen. „Schleichend und unbewußt“ verschöben sich Grenzen hin zur Gewaltanwendung.
Deutliche Vorwürfe in Richtung Politik und Polizeiführung gab es auch wegen des Umgangs mit Polizeibeamten als Zeugen. Der Kronzeuge, der Beamte Uwe Chrobok, ist ständigem Mobbing seiner Kollegen ausgesetzt und erhielt sogar eine Morddrohung (taz berichtete). Er dürfe, so Köhnke, aber von seinen Vorgesetzten „nicht allein gelassen werden“. In der Polizeiführung fehle es jedoch an Unterstützung für den Betroffenen, es gebe dort aufgrund eines falschen Selbstverständnisses „Sorgen um das Ansehen der Polizei“. Wenn von Politikern „Rückgrat der Beamten“ gefordert werde, sei dies nur ein Lippenbekenntnis.
Die „Mauer des Schweigens“ innerhalb der Polizei bei Vorwürfen gegen Beamte bestätigten gestern zwei weitere Zeugen, indem sie deren Existenz leugneten: Lothar Bergmann, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Hamburg, und Joachim Lenders, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft in der Hansestadt, halten den Begriff für „nicht mehr als eine Worthülse“. Die Drohung von Strafverfolgung oder Probleme mit Dienstgeheimnissen führe häufig nicht zu offenem Kommunikationsverhalten. Lenders verneinte Anzeichen von Kameraderie oder Corpsgeist innerhalb der Polizei. „Warum sollten Polizeibeamte vorher ihre Aussagen absprechen?“, fragte Lenders.
Warum wohl? lno/smv
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