■ In weißer Pracht und unter spanischer Sonne: Mit einem Jahr Verspätung startet morgen die alpine Ski-Weltmeisterschaft in der Sierra Nevada. Bodenerosion und Artensterben sind der Preis für das Prestigeprojekt
: Rekorde im Naturreservat

In weißer Pracht und unter spanischer Sonne: Mit einem Jahr Verspätung startet morgen die alpine Ski-Weltmeisterschaft in der Sierra Nevada. Bodenerosion und Artensterben sind der Preis für das Prestigeprojekt

Rekorde im Naturreservat

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Mit einem Jahr Verspätung, wegen Schneemangels, gibt es ab Sonntag vierzehn Tage Skizirkus aus der nur 80 Kilometer von der Costa del Sol entfernten Sierra Nevada. Weltmeisterschaft im Alpinski aus Südspanien – Exotisches für alpenmüde Fernsehzuschauer. Zwei Milliarden Mark ließen sich die Spanier die WM kosten, fünf Jahre Bauarbeiten und über eine halbe Milliarde Mark öffentlicher Gelder waren nötig um das südlichste Skigebiet Europas für die 435 gemeldeten Athleten WM-gerecht auszubauen. Eine neue, teilweise vierspurige Zufahrtsstraße verbindet die Sierra direkt mit Granada und dem Autobahnnetz. Von der Straße ins Parkhaus und von da mit 29 Aufzüge hinauf in ausgedehnte Gebäudekomplexe, Luxusapartments und Hotelanlagen. „Das größte unterirdische Parkhaus Europas, vierstöckig, mit Stellplätzen für 3.000 Pkws und 100 Busse (...) eine städtische Fußgängerzone, ein 4.000 Quadratmeter großer Platz mitten in einer herrlichen Aussicht“, werben die Hochglanzprospekte.

Auch die sportlichen Voraussetzungen stimmen. Der Fluß Monachil wurde eigens in eine zwei Kilometer lange Aluminiumröhre gezwängt und das Tal aufgeschüttet. Alpenniveau habe die neue Piste, auf der die meisten Rennen ausgetragen werden, verkündet die Betreiberfirma Cetursa stolz.

Juan Bertrán Fernández, Sprecher der Umweltschutzorganisation Cepa, zeigt sich weniger zufrieden. Das Skigebiet liegt mitten im Unesco-Bioreservat „Naturpark Sierra Nevada“. Eine in Europa einzigartige Artenvielfalt stehe auf dem Spiel. Die Betreiberfirma Cetursa habe so ziemlich alles falsch gemacht: Die Zufahrtsstraße wurde ausgebaut, ohne auch nur einmal die Wiederinbetriebnahme der aus den sechziger Jahren stammenden Bahnstrecke in Erwägung zu ziehen. Der in Röhren verlegte Monachil ist einer der wenigen Hochgebirgsflüsse Südspaniens; für Cepa „ein unverzeihlicher Eingriff“. Die Folgen der riesigen Erdverschiebungen: Bei jedem Regenfall werden ganze Teile der Piste weggeschwemmt. Sämtliche Bepflanzungsversuche der Universität Granada scheiterten bisher an der Trockenheit. „Als Modell dienten ähnliche Maßnahmen in den skandinavischen Ländern, ohne die unterschiedlichen Klimabedingungen in Rechnung zu stellen“, beschreibt Fernández das Problem. Weiter unten ist der Monachil nur noch Kloake. Die Kläranlage ist der steigenden Bettenkapazität nicht gewachsen. Abwasser gelangen ungeklärt in den Fluß. Die Folge: Hepatitiserkrankungen bei Kindern.

Cepa legte wiederholt Widerspruch ein. Vergebens. Das zuständige Gericht wies alle Klagen aufgrund der „Wichtigkeit des sportlichen Ereignisses“ zurück. Doch die Kritik ist weit grundsätzlicherer Art. „Skisport in der Sierra Nevada ist eine strategische Fehlentscheidung.“ Der Beweis dafür ist der immer öfter ausbleibende Schnee, und dies sei Folge eines allmählichen Klimawechsel. „Es gab schon immer gute und schlechte Jahre“, beschwichtigt die Cetursa. Daß die erste Piste aus den sechziger Jahren wegen der ständig steigenden Schneefallgrenze heute dort aufhört, wo sie einst begann, nämlich 300 Meter weiter oben, kann allerdings auch sie nicht wegdiskutieren.

Der Grund für solch unbedarften Optimismus liegt auf der Hand: Rekordgewinne, zumindest für einige. Allen voran Jéronimo Páez, Vorsitzender der Betreiberfirma Cetursa und Mitglied der sozialistischen Partei PSOE, die in Andalusien und Madrid die Regierung stellt. Als Vertreter der Landesregierung hält Páez 58 Prozent der Aktien. „Der König der Sierra“, wie er spöttisch genannt wird, steht im Kreuzfeuer der Kritik. Er habe die meisten Aufträge ohne Ausschreibungen vergeben. Doch die Spezialität von Páez scheint das typische Dreiecksgeschäft mit Spekulationsgewinnen zu sein. So verkaufte der einzigen Privataktionär bei Cetursa, Ávila Rojas, das Skihotel Maribel, eines der ältesten am Ort. Auf Umwegen über Firmen, alle im Besitz von Cetursa- Aufsichtsräten, konnten sie den Wert des Gebäudes in wenigen Monaten um 30 Millionen Mark in die Höhe treiben. Der Antrag der „Vereinigten Linken“ (IU) einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zu den dunklen Geschäften des Cetursa-Chefs einzusetzen, wurde von PSOE-Regierung und von der konservativen Partido Popular niedergestimmt, um dem Ansehen der Großveranstaltung nicht zu schaden.

1991 bei seinem Amtsantritt hatte Jéronimo Páez angekündigt: „Granada und die Sierra Nevada wird Sevilla in nichts nachstehen.“ Doch während die Expo 92 ohne Verluste zu Ende ging, ist Cetursa jetzt schon mit über 300 Millionen Mark verschuldet. Diesen Betrag wird die öffentliche Hand tragen müssen, und das in der drittärmsten Region Spaniens. Doch nicht genug. Páez plant weiter. Im marokkanischen Oukaimeden, 90 Kilometer von Marrakesch, soll unter Leitung der Cetursa ein noch exotischeres Wintersportgebiet entstehen. Reiner Wandler, Madrid