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■ „Überholen, ohne einzuholen“: Ein DDR-Würfelspiel erobert den SpielemarktWende bei Karstadt: Wir haben verstanden!

„Überholen, ohne einzuholen“ – nichts weniger schwebte Walter Ulbricht in den Sechzigern vor, als er die DDR-Planwirtschaft dem Wirtschaftswunderland BRD auf die Fersen hetzte. Geklappt hat's bekanntlich nicht, aber ernst gemeint war's vom alten Spitzbart.

Heute ist das alles nur ein Spiel, und zwar ein Würfelspiel. Das Ziel für die Mitarbeiter heißt Wandlitz, die einstige SED-Promisiedlung. Kam da zu Ostzeiten kaum einer rein, reicht zum Eintritt jetzt bereits ein Trabi, ein Telefon und die Parteimitgliedschaft. Um das alles zu kriegen, braucht es nur etliches Würfelglück. Schließlich war auch in der Planwirtschaft alles käuflich.

Und wie in der alten DDR gibt's auch in diesem Spiel zwei Währungen, mit denen auf den entsprechenden Spielfeldern Besorgungen gemacht werden können. Für ein Auto braucht man zum Beispiel 5.000 (Spiel)-Ostmark und fünf Pkw-Anmeldungen. Oder eben 500 Westmark, die man sich unter anderem auf dem Schwarzmarktfeld 1:5 eintauschen kann. Der Halt auf dem Feld Schwarzarbeit bringt dagegen nur 500 Ostmark. Wessen Spielmännchen bei Buna (die berüchtigte DDR-Chemiebude) aufsetzt, kriegt zwar 1.000 Ostmärker, aber auch eine FDGB-Kur an der Ostsee. Und das heißt: eine Runde aussetzen. Auf dem VEB-Feld wiederum winken nur noch 200 Ostmark aus der Kasse, von denen 100 gleich wieder als Parteibeitrag abgehen, sofern man schon in der SED ist. So wechseln Glück und Anschiß ständig ab, wie im richtigen DDR- Leben.

Das nicht ganz alltägliche sozialistische Los ziehen die Spieler jeweils mit den „Passiert was“-Karten. Haste Glück, gibt's ein Genex- Telefon gratis vom West-Onkel oder einen Tausender als Zugabe zum Vaterländischen Verdienstorden. Andererseits kann auch Schmiergeld für die Autoreperatur fällig werden.

Die Stasi-Karte schickt Mitspieler nach Bautzen

Dem Polizeistaat Rechnung tragend folgt die Knasteinweisung stets bei Betreten des VP-Feldes. Da gilt es locker zu bleiben, denn der Knast liegt in Bautzen, wo in der DDR tatsächlich viele politische Häftling einsaßen. Das Gemeinste kommt natürlich zum Schluß: die Stasi. Wer die Karte gezogen hat, darf den kurz vor dem Ziel befindlichen Mitspieler noch mal für eine Runde zurück nach Bautzen schicken.

Da die Masse der DDR-Bürger nie im Knast war, sondern den alltäglichen Sozialismus abzusitzen hatte, überwiegen die Anhänger die Verächter des politisch unkorrekten Erinnerungsspielchens. Schon 50.000 Exemplare wurden seit November 1995 vom Herausgeber „Buschfunk“ (eigentlich ein kleines Ostberliner Plattenlabel) über kleine Buch-, Platten- und Spielwarenläden verkauft. Zuvor war der Spieleerfinder, ein Bernauer Computerfachmann, bei allen großen Spielverlagen abgeblitzt.

So wie der Buschfunk-Vertrieb bei den Spielzeug- und Kaufhausketten. Doch die Boykott-Front bekam vor wenigen Tagen einen Riß, der sich in der Sächsischen Zeitung so dokumentierte: „Jetzt in unserer Spielwarenabteilung“. Karstadt Dresden warb auffallend groß viertelseitig nur für dieses eine Produkt. Die Leitungskader des Konsumtempels mußten ihren marktwirtschaftlichen Fehler letztlich korrigieren, nachdem Buschfunk das DDR-Spiel über die Lokalzeitung tausendfach vertrieben und die Nachfrage enorm geschürt hatte. Buschfunk-Chef Klaus Koch sieht in der jähen Wende bei Karstadt ein „gutes und seriöses Zeichen“. Die Annonce stellt er in eine Reihe mit der „Wir haben verstanden“-Kampagne von Ford oder den „Wir werden uns ändern“-Entschuldigungsanzeigen der Shell-AG.

Der Grund für die Ignoranz der wessigelenkten Handelskonzerne hat der Kleinunternehmer erkannt: „Der westdeutsche Kapitalismus ist ein bißchen übermüdet und abgekämpft.“ Müde lächeln kann Koch nur über die Bewertung des Spiels im Kapitalistenorgan Capital. Dessen Tester fanden es zwar ganz witzig, gaben aber nur einen Punkt, weil es marktwirtschaftlich sinnlos wäre.

Kochs Absatzziel lautet 150.000 Spiele nach einem Jahr, eine realistische Plankennziffer. Der Export in die alten Bundesländer soll verstärkt werden, etliche prominente Käufer kann Koch schon vorweisen, u. a. Regisseur Detlev Buck, Leander Haussmann, Intendant des Bochumer Schauspielhauses, und PDS-Chef Lothar Bisky.

Dem Buschfunker werden jetzt laufend neue Spiele angeboten. Weil es sich vor allem um DDR- Flucht-Spiele handelt, wurden sie bisher alle wegen Marktuntauglichkeit abgelehnt. Koch: „Republikflucht war insgesamt einfach DDR-untypisch.“ Gunnar Leue

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