Es wird vernebelt und verheimlicht

Hamburger Polizeiskandal: Öffentliche Entkleidung bei zehn Grad minus erzwungen. Expertenanhörung fällt vernichtendes Urteil über Polizeiführung: „Nieten“ an entscheidenden Stellen  ■ Von Sven-Michael Veit

Die beiden Männer mußten die Jacken ablegen, die Hosen runterlassen sowie Schuhe und Strümpfe ausziehen. Das berichtete eine Augenzeugin der taz. Bei minus zehn Grad hätten die beiden „türkisch aussehenden Männer“ minutenlang barfuß im Schnee stehen müssen, während drei PolizistInnen ihre Papiere und Klamotten inspizierten.

Tatort: der Hamburger Hauptbahnhof, Tatzeit: Mittwoch vergangener Woche, Täter: drei BeamtInnen der inzwischen bundesweit berüchtigten Wache 11 an der Kirchenallee in St. Georg. Die Hamburger Polizeipressestelle teilte auf Anfrage zunächst legiglich mit, ein solcher Vorgang sei „nicht protokolliert“ und „nicht nachvollziehbar“.

Am Freitagabend war sie schließlich klüger geworden: Es bestehe „der Verdacht der Körperverletzung“, erklärte Pressesprecher Hartmut Kapp gegenüber der taz, eine Anzeige werde bereits formuliert. Die Grenze zulässiger Ermittlungsarbeit und die Verhältnismäßigkeit sei „mit hoher Wahrscheinlichkeit überschritten“, die Dienststelle für interne Ermittlungen (DIE) sei eingeschaltet worden. Unklar ist derweil noch immer, wer die beiden öffentlich Leibesvisitierten sind und warum sie durchsucht wurden.

Zur Sache ging es am Freitag nachmittag auch an einem gemütlicheren Ort: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuß (PUA) Polizeiskandal hatte zu einer Expertenanhörung ins Hamburger Rathaus geladen – und bekam manches zu hören, was der CDU- SPD-Mehrheit dieses Gremiums gar nicht schmeckte.

„Management by Jeans“ bestimme die Personalpolitik der Hamburger Polizeiführung, erklärte der Rektor der Polizeifachhochschule Villingen, Professor Thomas Feltes den Abgeordneten: „An allen entscheidenden Stellen sitzen Nieten.“

Der Starauftritt war allerdings dem Hamburger Oberstaatsanwalt Martin Köhnke vorbehalten. Das Verhalten der Polizeiführung angesichts der Vorwürfe von Übergriffen durch Polizeibeamte sei erschreckend: „Dort ist vernebelt und verheimlicht worden.“ Innerhalb der Polizei ist nach Ansicht Köhnkes „das Vorhandensein von Kameraderie und Corpsgeist nicht zu leugnen“. Dies sei ein „negativer Ausfluß des zwingend notwendigen Schulterschlusses von Polizisten“. Die Beamten bekämen häufig unpräzise Revierbefehle und unterlägen „auf allen Ebenen unzureichender Dienst- und Führungsaufsicht“.

Hardliner als Gruppenführer seien „falsche Leitfiguren“ für junge Polizisten. „Schleichend und unbewußt“, so Köhnke, verschöben sich Grenzen etwa zur Gewaltanwendung. Nach den Erfahrungen Köhnkes aus mehr als 300 Vernehmungen gibt es innerhalb der Polizei immer wieder abgesprochene Aussagen, viele seien offensichtlich auch „falsch abgestimmt worden“. In diesem Ausmaß, so Köhnke, habe er dies bisher „nur im Bereich der Schwerkriminalität“ erlebt.