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„Kein Mädchen angefaßt“

■ Angeklagter widerruft Geständnis. Jetzt müssen Kinder vor Gericht aussagen

Mit einer inständigen Bitte eröffnete Richterin Robrecht gestern den zweiten Tag im Prozeß gegen Hermann G. Der 51jährige wird beschuldigt, während der beiden zurückliegenden Jahre in acht einzelnen Fällen minderjährige Mädchen sexuell mißbraucht zu haben, dreimal in Tateinheit mit Vergewaltigung. Am Freitag hatte Hermann G. unter Ausschluß der Öffentlichkeit ein Geständnis abgelegt, das er jedoch am Montag gegenüber dem Gutachter widerrief.

„Wenn an den Vorwürfen was dran ist, dann stehen Sie dazu“, mahnte die Richterin. „Wenn Sie nichts sagen, dann müssen wir die Kinder hören.“ Er habe mit keinem der Mädchen sexuellen Kontakt gehabt, beteuerte Hermann G. Zu dem Geständnis habe ihm sein Anwalt geraten, doch nichts davon sei wahr: „Das mit der Lügerei kann ich nicht ab.“ Als er Melanie 1989 kennenlernte, war das Mädchen 10 Jahre alt. „Die war jeden Tag bei mir und hat mit meinem Sohn gespielt“, erklärt der Angeklagte. Er habe sich um sie gekümmert, weil sie keinen Vater hatte. Ja, es sei hin und wieder zu einem Kuß gekommen, auch mal auf den Mund. „Die kam ja von selber an“, verteidigt sich Hermann G.

Kinder seien immer auf Besuch gewesen. Er habe ihnen das Spielzeug repariert, Videos angeschaut, Supernintendo gespielt. Mehr sei auch nicht geschehen, als er am 13.4.94 die damals neunjährige Irene kennenlernte. Sie kam „jeden Tag nach der Schule“ und brachte zwei Wochen später die zwölfjährige Julia mit. Beim Spielen habe Irene obszöne Worte gebraucht und ihn animiert. „Sowas gehört sich nicht“, will Hermann G. abgewehrt haben. „Ihr müßt mit solchen Sachen aufhören.“ Warum er trotzdem in Verdacht geriet, warum Unterschriften gegen ihn gesammelt wurden, kann sich Hermann G. nur so erklären: „Weil die mich nicht abkonnten. Weil ich anderen Leute helfe und denen nie geholfen hab.“

Die Lehrerin von Irene zeichnet indes ein anderes Bild des Angeklagten: Ständig habe er auf dem Schulhof gestanden. „Der Hermann sucht die Irene“, sagten die Kinder. Auf Nachfrage bei verschiedenen Eltern erfuhr die Lehrerin, daß der Mann „sehr engen Kontakt zu den Kindern sucht“. Rückblickend fielen der Pädagogin Verhaltensveränderungen bei der Neunjährigen auf. Das sonst sehr offenherzige Kind habe sich zurückhaltend verhalten, und sei andererseits „in dieser Zeit auffallend geltungsbedürftig“ gewesen.

Die Lehrerin initiierte eine Unterrichtseinheit über das Neinsagen, über gute und schlechte Geheimnisse. Sie informierte den Schulleiter, der Hermann G. ein Schulhofverbot erteilte. Auch die Kripo und das Amt für soziale Dienste wurden in Kenntnis gesetzt, doch nichts geschah. Dann entdeckte die Lehrerin einen für Irene bestimmten Brief von Hermann G. Darin kündigte der 51jährige Geschenke für „mein Prinzesschen“ an und forderte Irene auf, sofort zu kommen.

Irene besuchte den Mann, obwohl sie der Lehrerin versprochen hatte, dies nicht mehr zu tun. Warum, erfuhr die Lehrerin erst im Mai 95. Denn erst nach der Verhaftung des Mannes traute sich Irene, der Lehrerin zu erzählen, was geschehen war. Demnach drohte der Mann, Irene oder sich selbst umzubringen. Die Lehrerin: „Ich hatte den Eindruck, daß Irene panische Angst hatte.“ dah

Prozeß wird heute fortgesetzt.

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