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Fangen wir mit der Schießerei an

Vom Bloodshed-Kultobjekt zum gemeinen Action-Regisseur. „Operation: Broken Arrow“ von John Woo, mit Christian Slater und John Travolta, kommt nicht recht zum Zug  ■ Von Thomas Winkler

Ende 1992 schien es amtlich zu sein. „The Killer“ sollte die Ehre zukommen, zum ersten Hollywood-Remake eines Hongkong- Films verwurstet zu werden. TriStar hatte die Rechte an John Woos Mega-Erfolg erworben, Richard Gere war für die Hauptrolle vorgesehen, die im Original von Chow Yun Fat, damals unangefochtener Superstar des Hongkong-Kinos und in Action- und Charakter-Rollen ebenso zu Hause wie in Komödien, gespielt wurde.

Doch aus dem Remake wurde bis heute nichts, Hollywood hatte es sich anders überlegt und statt dessen den Meister des Bloodshed-Films selbst eingekauft. Im gleichen Jahr noch verläßt Woo Hongkong.

Nur ein Jahr später hatte er mit „Hard Target“, in dem er einen schwer schnaufenden Jean-Claude Van Damme durch seine aberwitzig choreographierten Schußwechsel springen ließ, seine Position in Hollywood gefestigt. „Hard Target“ bediente vor allem die klassische Videothekenklientel und erzielte zwanzig Millionen Dollar Überschuß, aber alten Woo-Fans wurden alle Vorurteile Hollywood gegenüber bestätigt.

Das wird sich auch mit „Operation: Broken Arrow“ kaum ändern. Der vernachlässigt zugunsten einer gigantischen Materialschlacht die originären Qualitäten Woos. Statt dessen gibt es sogar eine Liebesgeschichte, weswegen sich Samantha Mathis, die bisher fast ausschließlich in Komödien zu sehen war, von Christian Slater durch die überaus pittoreske Wüste von Arizona zerren lassen muß. Das Rituelle aber, das sich Woo aus jahrelangen Beobachtungen von japanischen und französischen Gangsterfilmen herausfilterte, die kleinen Gesten, die die von der Grundanlage her stumpfen Bloodshed-Streifen zu mit filmischen Codes gespickten Kultobjekten werden ließen, tauchen nur noch am Rande auf. Was Woo in seinem Hongkong- Durchbruch „A Better Tomorrow“ oder „The Killer“ überstilisiert schon fast zur Belustigung preisgegeben hatte, fügt sich fast nahtlos in den Hollywood-Zusammenhang, ohne als offensichtlicher Bruch erkennbar zu bleiben.

„Hard-Boiled“, Woos Abschiedsgruß an Hongkong, begann mit der enervierend langen Großaufnahme eines Glases, in das Tonic und Tequila gefüllt wurde. Der Held, der das Glas austrinken wird (gespielt wieder einmal von Chow Yun Fat), trägt den Spitznamen Tequila.

Damit ist die Exposition abgeschlossen, der Charakter ausreichend beschrieben – laßt uns mit der Schießerei anfangen. „Broken Arrow“ beginnt mit einem Boxkampf zwischen John Travolta und Christian Slater, bei dem der Jüngere ständig zu Boden geht, immer wieder aufsteht, schlußendlich aber doch verliert, weil ihm, wie Travolta später analysieren darf, „der letzte Wille“ fehlt. Slater hat den ersten Wettkampf verloren, zwanzig Dollar wechseln den Besitzer.

Es hat lange gedauert, bis wir die Protagonisten kennengelernt haben, und es wird noch länger dauern, bis der Film überhaupt wieder eine von Woo gewohnte Geschwindigkeit aufnimmt. Zum Schluß gewinnt Slater die zwanzig Dollar zurück, ein Mädchen noch dazu, und eine Atombombe, weil drunter machen wir's nicht.

Der finale Niederschlag des Boxkampfs, das unerwartete Auftauchen von Travolta in der Wüste: Des öfteren setzt Woo eine extreme Zeitlupe ein, die dann zwar natürlich sofort an Sam Peckinpah erinnert, aber eigentlich nur ein müder Abklatsch der den Rhythmus völlig brechenden Standbilder ist, die er in „A Better Tomorrow“ zum ersten Mal einsetzte und in der Folge zu einer von Woos Duftmarken wurden. Travolta raucht Kette, anstatt sich nur einmal in aller Ausführlichkeit eine Zigarette anzustecken.

Zum einen hat Woo seine Konsequenz verloren, mit der er noch die kleinsten Standardgesten so auswalzte, daß sie als Zitate erkennbar wurden. Da hilft es auch nicht, daß man irgendwann aufhört mitzuzählen, wie viele Hubschrauber nun schon in die Luft gegangen sind. Die Balance zwischen Faszination am und Spiel mit dem Genre ist aus dem Gleichgewicht geraten.

Zum anderen hatte Hollywood schon dazugelernt, bevor Woo dorthin kam. Er soll noch in Hongkong voller Stolz geäußert haben, daß ihn Abel Ferrara in „King of New York“ kopiert habe. Längst hat sich allgemein durchgesetzt, was einen in Filmen von Woo vor Jahren noch erschaudern ließ, wie zum Beispiel der nahezu völlige Verzicht auf familiäre und/oder soziale Hintergründe. Auch in „Broken Arrow“ wird die Antwort auf die Frage „Do you have family?“ abrupt durch den nächsten Schußwechsel abgewürgt. Aber das ist inzwischen ebensowenig irritierend wie die Ästhetisierung des Schlagens, Schießens und Sterbens, wo vor allem Ferrara ganze Arbeit geleistet hat.

„Splatting Image“, Zentralorgan für Trash, Horror und Ploitation, charakterisierte Woos Filme vor drei Jahren als die „reinsten Rauschmittel“ und „perfekt kalkulierten Wahnsinn“, der unweigerlich zum „Endstadium der effektivsten Manipulation“ führt. Aber das aberwitzige Tempo der Action-Sequenzen, die Eigenschaft, wegen der Hollywood auf Woo aufmerksam wurde, läßt sich nach Filmen wie „Speed“ oder „Die Hard 3“ wohl eh nicht mehr steigern. Und so wirkt „Broken Arrow“ – in der Oberflächlichkeit betrachtet, zu der ein solcher Film immer verführt, und wegen der ganz klassischen Verschnaufpausen, die er uns bietet – wie eine nicht ganz jugendfreie Version von „Top Gun“.

Zwar trägt John Travolta doch tatsächlich eine Pilotensonnenbrille, aber er ist immerhin kein Val Kilmer.

„Operation: Broken Arrow“. Regie: John Woo.

Mit John Travolta, Christian Slater, Samantha Mathis, Delroy Lindo, Howie Long, USA 1996

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