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Der Chef hat sich geirrt – der Arbeiter geht

■ Otto Normalverbraucher zur Währungsunion

Die Experten haben die Währungsunion (WU) von ihrem hohen (und sicheren!) Platz aus gepriesen. Was sagt Otto Normalverbraucher dazu? Wie sieht er von seinem ungeschützten Platz aus die Sache? Schließlich hat er, nicht die da oben, die Sache auszubaden. Wir kennen das doch: Der Chef hat sich geirrt – der Arbeiter geht.

Zunächst fällt Otto N. auf, daß in allen Ländern der Europäischen Union (EU) die Arbeitslosigkeit groß ist und die Experten kündigen weitere Stellenverluste durch den sogenannten technischen „Fortschritt“ an. Otto N. kann von diesen Ergebnissen der EU nicht begeistert sein. Daß das nach der WU besser wird – da ist er mißtrauisch. Das ist ihm schon früher immer wieder versprochen worden. Statt dessen: fortschreitende Arbeitslosigkeit und die Schere zwischen Arm und Reich wird immer weiter.

Wenn nun die WU zustande käme, werden ihr nur einige Staaten angehören. Die Mehrheit wird draußen bleiben. Die WU ist nicht flankiert durch eine soziale und politische Union. Die sind ungewisse Zukunft. In der WU kann also ein erhebliches Gefälle bei Löhnen und Sozialleistungen bestehen. Die Abwanderung in Billiglohnländer ist deshalb auch innerhalb der WU durchaus akut. Wie sich überhaupt die unterschiedliche wirtschaftliche Produktivität der WU-Länder auswirken wird, ist ungewiß. Die sogenannten „Konvergenzen“ bedeuten nicht gleiche Produktivität. Unter diesen Aspekten fühlt sich Otto N. noch unsicherer an seinem Arbeitsplatz als vor der WU.

Nun soll die WU-Währung – schwören die Experten – ebenso stabil und hoch sein wie die liebe D-Mark. Andererseits bremst nach ihren Erklärungen gerade der Kurs der D-Mark die wirtschaftliche Entwicklung. Das gilt dann also auch für die EU-Währung. Wie soll also die stabile und hoch im Kurs stehende Euro-Währung förderlich für die BRD sein? Die Unsicherheit von Otto N. steigert sich.

Die Staaten außerhalb der WU, die ihre Währung und deren Kursschwankungen behalten haben, können dadurch – nach den Erklärungen unserer Wirtschaftsbosse – im Kampf um Exportkunden durch Billigpreise gefährliche Konkurrenten der WU-Staaten werden. Werden sie sich dafür quälen, in die WU zu kommen? Vielleicht lassen ihre Wirtschaftsinteressen es geraten erscheinen, sich zurückzuhalten. Sie könnten es dann den WU-Ländern schwer machen, bei der Stange zu bleiben. Auch dieser Aspekt ist nur geeignet, Otto N. noch unsicherer zu machen.

[...] Er soll den Eintritt in die WU mit sozialem Rückschritt bezahlen. In jahrelangen Kämpfen mühsam errungene soziale Besitzstände werden aufgehoben. Immer wieder hört er, der Sozialismus sei gescheitert (welcher?), jetzt herrsche die „freie Marktwirtschaft“ und deren Gesetze. Die sind aber keine Naturgesetze, sondern Egoismus und das Recht des Stärkeren, deren Maxime ist, „Gewinnmaximierung um jeden Preis“. Sie verstehen unter Wirtschaft die rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur. [...]

Und diese sogenannte „freie Marktwirtschaft“ wird noch dazu in einer EU betrieben, die autoritär organisiert ist. Das Europaparlament spielt nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend sind die Regierungen, deren demokratische Legitimation und Kontrolle sehr unterschiedlich sind. Deren Beschlüsse werden von der Kommission ausgeführt, deren Mitglieder die Regierungen ernennen. Daß dieses autoritäre System, in dem die Wirtschaftsmächtigen entscheidenden Einfluß haben, in dem Bürokratie, Beziehungen (Filz), Korruption und Verschwendung eine schmutzige Mischung bilden und dem jede Bindung zur Basis fehlt, daß dieses System sein Schicksal entscheidet, das allerdings muß Otto N. geradezu Angst machen. Und wieder müßte er überlegen: Sollte er nicht doch ...?

Vor allem sollte er überlegen, daß nicht die Löhne als vielmehr die Unfähigkeit, Unbeweglichkeit und Dummheit der Manager und die archaische Struktur vieler Unternehmen an der Arbeitslosigkeit schuld sind! Hans-Joachim Lemme,

Frankfurt

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