piwik no script img

Der Hamburger Hüftschwung

■ Schon lange fragen wir uns, warum bestimmte architektonische Stilmittel in Hamburg immer so massiert und zeitgleich auftreten: Nach intensiver Recherche haben wir den Grund gefunden

Es gibt in Hamburg eine geheime Architektenloge, in der sich die lokalen, selbsternannten Baukünstler treffen und wo der „Geheime Zeichenplan“ beratschlagt wird. In diesem Plan wird bestimmt, welchen Stilschuber man als nächstes entleert, um dem Hamburger Stadtbild einen möglichst einfältigen Witz zu verleihen und zu vermeiden, daß ein Gebäude schöner aussieht als ein anderes. Dieses Unisex-Kartell hat als Ziel, daß niemand außerhalb der Hansestadt auf Hamburg aufmerksam wird, was ja bedeuten könnte, daß man Hamburger Architektur einmal im Vergleich zu anderen Möglichkeiten sieht. Davor hat der Hamburger Architekt aber panische Angst (zu Recht, wie ein Spaziergang durch Neubaugebiete jedem zeigt), und deshalb lautet der erste Spruch der A-Loge: Architektur muß mit Kunst soviel zu tun haben wie Politik mit Sport.

Die innere Anspannung, die die Vermeidung guter Architektur aufbaut, löst sich bei diesen Logentreffen in der Erfindung grotesker Namen. So hieß die Akte mit dem Beschluß, ab sofort in jedes Haus, das ein Mitglied der A-Loge baut, mindestens ein Bullaug-Fenster einzubauen „Glubschies“ und in Anlehnung daran die Akte über die Flugdächer „Flutschies“ (der Backsteinerlaß trägt den Untertitel „Rothändle“). Als man Anfang der 90er Jahre den letzten uns bekannten Beschluß fällte, Frontfassaden, ob es zu den Grundstücksformen paßt oder nicht, stets konvex zu krümmen, lachte man besonders lange über die neue Wortschöpfung. Denn die gesetzten Herren, deren musikalischer Geschmack in der Elvis-Rille hängt, nannten ihr neues Diktat „Den Hamburger Hüftschwung“.

Beswingt (oder besser berollt) von diesem tollen Begriff gingen sie schnurstracks daran, das Geheimpapier in die Tat umzusetzen. Das Ergebnis wird jetzt so langsam offenbar, wo die Gerüste abblättern: Vom Hotel Hafen Hamburg bis zur noch im Bau befindlichen Kehrwiederspitze ist beinahe kein Gebäude mehr entstanden, das nicht den Hamburger Hüftschwung, mal nach rechts, mal nach links, zum imaginären Soundtrack von „Jailhouse Rock“ macht. Längs des Fleet-Canyons, an der Ost-West-Straße, in der City-Süd, ob Berg, ob Tal, ist ganz egal. Wenn der Club nun als nächstes „Blue Suede Shoes“ entdeckt, stellen sie uns die Stadt wahrscheinlich voll mit Hochzeitskleidern in Gummistiefeln. Deswegen: Die Loge muß weg!

Till Briegleb

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen