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Merkel rettet den Grünen Punkt

Die Bonner Umweltministerin will die Verpackungsverordnung novellieren und dabei die vorgeschriebenen Recyclingquoten deutlich senken  ■ Von Annette Jensen

In drei Monaten kommt die Stunde der Wahrheit für den Grünen Punkt. Dann wird öffentlich, wieviel Plastikflaschen, Tetrapacktüten und Bierdosen das Duale System Deutschland (DSD) im vergangenen Jahr eingesammelt und recycelt hat. „Beim Alu haben wir ein bißchen Schwierigkeiten gehabt“, räumt DSD- Sprecher Gunnar Sohn schon heute ein. Vielleicht hat es aber auch bei anderen Stoffen nicht gereicht, um die vorgeschriebene Quote einzuhalten. Doch gerade jetzt will Umweltministerin Angela Merkel die Verpackungsverordnung novellieren – um sie der EU-Vorgabe anzupassen, wie es offiziell heißt. Tatsächlich aber geht es mal wieder um die Rettung des DSD.

Wird die Mindestquote verfehlt, können die Länder-Umweltminister den Einzelhändlern die Freistellung von der Rücknahme entziehen, heißt es in der bisher geltenden Regelung. Die VerbraucherInnen dürften dann ihre leeren Joghurtbecher und Coladosen zurück ins Geschäft tragen. Doch in dem Referentenentwurf, den Merkel kürzlich an die Lobbygruppen schickte, sind die Aufbereitungsquoten deutlich gesenkt. Kommt er durch, muß das DSD dieses Jahr nur 50 Prozent Aluminium, Verbundstoffe, Papier und Pappe aus den gelben Säcken klauben und wiederverwerten. Erst ab 1998 sollen es dann 60 Prozent sein. Bisher mußten je nach Stoffart ab 1996 entweder 64 oder 72 Prozent der auf den Markt gebrachten Verpackungen wiederverwertet werden.

Mit den neuen Zahlen könnte das DSD hinkommen, zumal Merkel nur noch eine Gesamtbilanz für ganz Deutschland zulassen will. Bisher muß das DSD in jedem Bundesland getrennt abrechnen – und da sah es im Norden ganz schlecht aus. Außerdem stellten sich heute noch einige Landesregierungen quer, wenn das DSD dubiose Verwendungen als Recyclingmethoden ausgibt. Baden-Württemberg weigert sich beispielsweise, die Verbrennung von Plastikmüll im Hochofen als Wiederverwertung anzuerkennen. Für Angela Merkel ist das hingegen kein Problem. Auch der Kampfaufruf des DSD gegen „Trittbrettfahrer“ verfehlte seine Wirkung nicht. „Wenn ich einen Anzug bei Peek und Cloppenburg kaufe – was ich wohlgemerkt nicht tue –, sagen die mir dort, ich kann meine Tüte zurückbringen“, schildert Sohn das Problem. Sortieranalysen hätten aber gezeigt, daß die Leute auch Verpackungen ohne Grünen Punkt in die gelben Tonnen schmeißen. „Das bedeutet: 400 Millionen Mark Kosten fürs DSD – die Einnahmeausfälle noch gar nicht mitgerechnet“, ereifert sich Sohn.

In der Novelle ist jetzt festgelegt, daß auch sogenannte Selbstentsorger nachweisen müssen, daß sie die vorgeschriebenen Quoten erfüllen. Wie das allerdings in der Praxis aussehen soll, wenn jeder Bäcker und Baumarkt seine Recycling-Bilanz aufmacht, ist völlig ungewiß. Schon heute fehlt so gut wie jede Kontrolle bei den Transport- und Umverpackungen, deren gesamter Rücklauf offiziell wiederverwertet werden muß. Und die Länder klagen bereits jetzt über die hohen Verwaltungs- und Personalkosten bei der Kontrolle des DSD. Deshalb sind sie auch nicht böse, daß Angela Merkel die Verantwortung an sich reißen will.

De facto wird das ganze wohl darauf hinauslaufen, daß das DSD nur noch einen bestimmten Prozentsatz der grünbepunkteten Verpackungen recyclen muß und nicht, wie bisher, der Gesamtmenge. Im Klartext: Die Quotensenkung ist massiver, als sie auf den ersten Blick erscheint.

Gunda Rachut vom Forschungs- und Beratungsbüro cyclos sieht allerdings auch keinen Vorteil für die Umwelt darin, sollte das DSD an den alten Quoten scheitern. „Wenn die Leute zu faul sind, die Verpackungen in die gelben Säcke zu stecken, dann sind sie ganz bestimmt zu faul, das Zeug in die Geschäfte zurückzutragen“, meint sie. Noch mehr Dosen würden im Wald und im Hausmüll landen. Tatsächlich packen nur fünf Prozent der KundInnen heute im Laden die Umwverpackungen aus. Rachut plädiert deshalb für eine Beibehaltung der alten Sammelzahlen und die Verhängung von Bußgeldern gegen die Industrie, wenn sie die Quoten verfehlt.

Eine sinnvolle Reform der Verpackungsverordnung müßte in jedem Fall bei den Produzenten ansetzen. Nur wenn sie gezwungen sind, schon bei der Herstellung die spätere Verwertung mitzubedenken, kann von einer Kreislaufwirtschaft die Rede sein. Doch während in der Schweiz bestimmte Verpackungsmaterialien wie PVC verboten sind, dürfen die deutschen Hersteller jeden Stoff verwenden und mit einem Grünen Punkt bemalen – egal, ob er tatsächlich wiederverwertbar ist. „Die Recycling-Quoten sind immer Input-Werte“, sagt Jürgen Heinisch, Prokurist der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung. Wieviel am Ende des Recyclings vom ursprünglich eingesetzten Stoff übrig bleibt, ist egal.

Das Öko-Institut schlägt deshalb vor, nicht wiederverwertbare Verpackungen mit einem roten Punkt zu kennzeichnen. Das DSD soll zwar erhalten bleiben, aber künftig nur die Verpackungen einsammeln, aus denen sich vermarktbare Dinge herstellen lassen. Nur noch zwei Sorten Plastik dürfen auf den Markt kommen, fordern die UmweltforscherInnen. Aluminium wollen sie ganz aus den Supermarktregalen verbannen: Schließlich gehen 23 Prozent der Klimaerwärmung durch Verpackungsherstellung auf das Leichtmetall zurück.

DSD-Sprecher Sohn hingegen fordert von der Politik, sich den Gegebenheiten der heutigen Verpackungskultur anzupassen. Eine Weißblech-Getränkedose sei nun einmal nicht ohne Alu-Deckel herzustellen und ein späteres Herauslösen des Deckels viel zu teuer. Deshalb die ganze Dose in Frage zu stellen, kommt dem DSD-Mann ebensowenig in den Sinn wie Merkel: Die VerbaucherInnen wollen ja schließlich das Produkt.

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