„Kernenergie gibt es noch Jahrhunderte“

Strom aus Sonnenenergie spielt für die deutsche Elektrizitätswirtschaft keine Rolle. Subventionen für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen müssen aus dem Staatshaushalt kommen. Interview mit Joachim Grawe, Hauptgeschäftsführer der VDEW

Das Potential erneuerbarer Energien könnte sowohl den derzeitigen als auch noch zusätzlichen Energiebedarf decken. Sonnenenergie, Wind- und Wasserkraft gibt es dauerhaft und umsonst. Kosten verursacht deren Umwandlung in Strom. Die Netze zur Verteilung der Energie bestehen. Warum die Energieversorgungsunternehmen (EVU) keine Vorreiter hinsichtlich des Einsatzes erneuerbarer Energiequellen sind, wollte die taz vom Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), Joachim Grawe, wissen.

taz: Grundsätzlich, so heißt es, würden die Stromversorger die Förderung der Markteinführung erneuerbarer Energien begrüßen: auf einer verfassungsrechtlich einwandfreien Basis und volkswirtschaftlich sinnvoll gestaltet. Was bedeutet das?

Joachim Grawe: Die Förderung von Forschung, Entwicklung und darüber hinaus auch die Markteinführung neuer Energietechniken sind Sache der öffentlichen Hand. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kohlepfennig dürfen solche Lasten nicht den Stromverbrauchern zwangsweise auferlegt werden. Das Stromeinspeisungsgesetz ist nach unserer Überzeugung deshalb verfassungswidrig, denn die Stromversorger und damit letztlich ihre Kunden, die das ja über ihre Preise zahlen, werden gezwungen, Strom aus erneuerbaren Energien abzunehmen und zugleich einen überhöhten Preis dafür zu zahlen – überhöht gegenüber den Möglichkeiten anderweitigen Strombezugs.

Eine volkswirtschaftlich sinnvolle Gestaltung muß die derzeitigen Mitnahmeeffekte beim Stromeinspeisungsgesetz ausschließen. Und sie darf auch nicht auf dem Prinzip einer „Sozialisierung der Verluste“ beruhen – sprich zu Lasten aller Stromkunden gehen –, während gleichzeitig die Gewinne privatisiert werden, beispielsweise bei Abschreibungsgesellschaften für Windenergie.

Nun sollen erneuerbare Energien – neben fossilen Brennstoffen, Kernenergie und rationeller Energieverwendung – zur vierten Säule des Energiesystems der Stromversorger werden. Ab welchem Punkt können denn die EVU ihre Kohle- und Atomkraftwerke flächendeckend gegen Sonne-, Wind- und Wasserkraftwerke austauschen?

Solar- und Windkraftwerke bringen keine gesicherte Leistung und können deshalb für uns keine Alternativen zu Kohlekraftwerken und erst recht nicht zu Kernkraftwerken sein. Die laufen rund um die Uhr und decken den Grundbedarf an Strom. Die Sonne scheint nachts nun mal nicht, Windanlagen produzieren weder bei Flaute noch bei Sturm.

Bei Wasserkraftwerken kann im Winter nur etwa die Hälfte ihrer Kapazität angesetzt werden, denn kleinere Wasserläufe frieren häufig zu, größere Flüsse führen vor der Schneeschmelze weniger Wasser. Außerdem wird der Ausbau der Wasserkraft in Deutschland nur noch sehr begrenzt möglich sein.

Konkret: Werden die Stromversorger in den nächsten zwanzig Jahren überhaupt auf den Bau herkömmlicher Kraftwerke verzichten und die aus technischen Gründen stillzulegenden Bauwerke durch solche ersetzen, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden?

Wenn in großem Umfang Anlagen auf der Basis erneuerbarer Energien hinzugebaut würden – nehmen wir mal an, es gäbe ein massives Förderprogramm des Bundes zur Markteinführung –, dann könnte ich mir vorstellen, daß insbesondere durch Anlagen mit dem Brennstoff Biomasse Möglichkeiten bestehen, Kapazitäten in Kohlekraftwerken zu reduzieren. Biomassekraftwerke haben den Vorzug, daß sie je nach Bedarf hoch- oder heruntergefahren werden können. Das ist wesentlich interessanter als beispielsweise ein Solarkraftwerk.

Die Entwicklung bei den erneuerbaren Energien vollzieht sich im übrigen vergleichsweise zügig, wenn man bedenkt, daß Energiesysteme wegen der langfristigen Kapitalbindung sich nur allmählich wandeln. Wir erwarten in den nächsten zehn Jahren eine Zunahme des Stroms aus erneuerbaren Energien um 40 Prozent.

Ein Verzicht auf herkömmliche Kraftwerke ist aus den erwähnten Gründen nicht möglich. Die Kohlekraftwerke müßten trotzdem gebaut werden, würden aber nur mit geringerer Leistung betrieben.

Wo liegt das größte Engagement der EVU bei den erneuerbaren Energiequellen?

Die Nutzung erneuerbarer Energiequellen lag 1994 bei 4,4 Prozent. Wir sehen nicht, daß sie sehr schnell aufholen werden. Vielleicht werden daraus in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren 5 oder 6 Prozent.

Fast flächendeckend werden Deponiegaskraftwerke gebaut. Allerdings hat das nur begrenzt Zukunft, weil in modernen Deponien nur der Restmüll lagert und sie gar nicht mehr so viel Gas enthalten. Das ist also nur noch für die nächsten zwanzig Jahre attraktiv. Aber Biomasse und Holzabfälle könnten verstärkt genutzt werden, dazu Mischbiomasse als Zufeuerung in Kohlekraftwerken.

Größere oder modernisierte Wasserkraftwerke sind – wo immer möglich – interessant. Solarenergie spielt bei uns in den nächsten zwanzig Jahren keine Rolle.

Mit anderen Worten: Ein stillzulegendes Kohlekraftwerk durch ein Solarkraftwerk zu ersetzen, halten Sie für nicht machbar.

Das halte ich in Deutschland für absurd.

Sie, Herr Grawe, sagten an anderer Stelle, die Aussicht, Photovoltaik könne in Deutschland bald wesentlich zur Deckung des Strombedarfs beitragen, sei Träumerei. Aber: Je mehr Solarzellen produziert werden, desto billiger wird doch diese Technik. Warum steigen die EVU nicht ganz massiv in diesen Markt ein, um deren Nutzung wirtschaftlich zu machen?

Solarzellen bringen keinen Leistungsbeitrag. Der in ihnen erzeugte Strom ist höchstens soviel wert wie die ersparten Brennstoffkosten, also 4 bis 5 Pfennig. Andererseits kostet der Solarstrom etwa 2 Mark pro Kilowattstunde. Zur Stromerzeugung ist die Sonnenenergie damit 40fach zu teuer. Mit der heutigen Technik besteht keine Aussicht auf Wirtschaftlichkeit, selbst dann nicht, wenn die Photovoltaikzellen umsonst wären, denn allein die zusätzlich benötigten konventionellen Komponenten einer solchen Solaranlage sind zu teuer. Diese werden ja bereits in Großserie gefertigt, und durch die Fertigung allein der Zellen oder Module in Großserie – jetzt bewerte ich das mal optimistisch – kommen Sie immer noch erst auf Stromerzeugungskosten von 70 Pfennig pro Kilowattstunde, eher sogar 1 Mark. Das wäre immer noch der Faktor 15 bis 20.

Wie kann man diesen Preis reduzieren?

Man muß neues Zellmaterial finden und die Herstellungsverfahren verbilligen. Nur können die naturgesetzlichen Nachteile wie Energiedichte und schwankende Verfügbarkeit möglicherweise für ein Land in Mitteleuropa überhaupt nicht ausgeglichen werden. Wenn Möglichkeiten bestünden, Solarzellen wirtschaftlich vertretbar zu produzieren, dann hätten es Unternehmen sicherlich schon geschafft.

Nun kann „wirtschaftlich vertretbar“ auch bedeuten, daß erneuerbare Energien zwar noch immer ihren Preis haben, die Kosten aber nur deshalb mit fossilen Trägern vergleichbar sind, weil sich die Ressourcen ihrem Ende nähern und damit teurer werden.

Bei der Knappheit der Energieträger läßt man sich leicht irreführen. Es wird schlicht gesagt, wie viele Reserven heute nachgewiesen sind – beispielsweise mit heutiger Technik, zu heutigen Preisen wirtschaftlich förderbare Ölvorräte. Das ist ja immer nur eine kleine Teilmenge.

Ich bestreite nicht, daß Öl, Gas und auf Dauer auch Kohle und Kernenergie endlich sind – bei Kohle und Kernenergie handelt es sich aber um Zeiträume von Jahrhunderten. Öl und Gas werden sicherlich auch noch hundert Jahre dasein – ob wir immer die jetzige Fördermenge halten, steht auf einem anderen Blatt. Es ist also ein langsamer Prozeß der Ablösung und Ergänzung. Daß wir in Deutschland in absehbarer Zeit ein System allein auf Basis erneuerbarer Energien haben, ist für mich nicht vorstellbar. Allenfalls ein wachsender Anteil im Laufe von Jahrzehnten, vielleicht eines Jahrhunderts.

Nun kann man Stromerzeugung zwar unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachten, aber es geht doch an der Realität vorbei, wenn man die umweltpolitischen Gesichtspunkte beim Einsatz der unterschiedlichen Energieträger außen vor läßt, die sich ja nicht zwangsläufig in roten und schwarzen Zahlen bilanzieren lassen.

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Seltsamerweise ist der Irrglaube weit verbreitet, Solaranlagen und Windanlagen seien umweltpolitisch nur positiv zu bewerten. Windkraftanlagen werden in der Bevölkerung zunehmend bekämpft – was ich im übrigen nicht begrüße, damit hier kein Mißverständnis entsteht –, weil sie die Landschaft beeinträchtigen, Lärm und störende Lichteffekte verursachen. Photovoltaikanlagen benötigen pro erzeugte Kilowattstunde etwa 10mal soviel Material, zum Beispiel Metalle und Glas, wie herkömmliche Kraftwerke. Der Energieaufwand zur Herstellung einer Solaranlage ist erst nach fünfjährigem Betrieb wiedereingespielt. Wenn man sich neuere Untersuchungen zu den externen Kosten ansieht, liegen die Kosten der Photovoltaik etwa so hoch oder so niedrig wie bei Kernenergie.

In jüngster Zeit wurden gerade den Kleinstproduzenten von Strom bei deren Absicht, Strom aus erneuerbaren Energien in die Netze einzuspeisen, Knüppel zwischen die Beine geworfen. Wovor fürchten sich die Stromversorger, wenn sich andere privat engagieren?

Das ist im Grunde ein klassischer Streit: Der Verkäufer will viel Geld verdienen, der Käufer möchte möglichst wenig zahlen. Zunächst die Fakten: Die Stromversorger haben 1994 rund 350 Millionen Mark an Einspeiser von Strom aus erneuerbaren Energien gezahlt. Davon waren mindestens 137 Millionen Mark Subventionen und etwa 55 Millionen Mark reine Mitnahmeeffekte der Betreiber alter Wasserkraftwerke, die mit der Einführung der neuen gesetzlichen Regelung 1990 keine einzige Kilowattstunde mehr erzeugen, sondern mit dem verdienten Geld schlicht windfall-profits erzielen.

Wir wollen ja diese Energiequellen entwickeln helfen, aber nicht zu Lasten der Stromkunden und zugunsten einiger weniger Einspeiser. Die Subventionen müssen aus dem Staatshaushalt kommen. Eine kostendeckende Vergütung für einzelne Produzenten, wie das mancherorts gefordert wird, halte ich in unserem Wirtschaftssystem für geradezu absurd.

Unterstellen Sie den Betreibern von Kleinkraftwerken, sie wollten sich mit der Einspeisung von überschüssigem Strom in Ihr Netz nur eine goldene Nase verdienen?

Bei Windkraftwerken ist das zum Teil der Fall. Auch die alten Wasserkraftwerke verdienen blendend. Der normale, kleine Erzeuger und Einspeiser von Strom mit neuen Anlagen verdient sich sicherlich keine goldene Nase dabei. Aber er will die Lasten auf andere abwälzen.

Was macht Sie denn so sicher, daß Stromkunden nicht bereit sind, einen ideellen Preis zu zahlen – also Strom aus erneuerbaren Energiequellen höher zu vergüten, um deren Technik, Forschung und Produktion voranzutreiben?

Es gibt Stromkunden, die für Sonnen- oder Windstrom mehr zu zahlen bereit sind. Einige unserer Mitgliedsunternehmen greifen das auch auf. Kunden können dann freiwillig statt 30 Pfennig eine oder zwei Mark zahlen. Die Mehreinnahmen – dazu verpflichtet sich das Unternehmen – werden dann zur Förderung erneuerbarer Energiequellen eingesetzt.

Was muß denn geschehen, um die Entwicklung erneuerbarer Energien voranzutreiben? Wer muß sich bewegen – Politik, Wirtschaft oder die EVU?

Bei Photovoltaik besteht noch ganz erheblich Bedarf an Forschung und Entwicklung. Beides sollte weiterhin und kontinuierlich gefördert werden. Dann müssen sich, auch in der gesamten EU, Parlamente und Regierungen entscheiden, ob sie darüber hinaus die Markteinführung fördern wollen. Die Stromversorger sind auch mit im Boot, sind weiterhin bereit, überschüssigen Strom in ihre Netze aufzunehmen, dafür einen angemessenen Preis zu zahlen ...

...was ist „angemessen“?

Die Höhe der langfristig vermiedenen Kosten. Wir haben für Kraft-Wärme-Kopplung mit den Einspeisern eine Größenordnung von etwa 10 Pfennig pro Kilowattstunde vereinbart. Was wir nicht für richtig halten, ist, daß alle Kunden zwangsweise diese Lasten tragen, die in den öffentlichen Haushalt gehören. Interview: Andreas Lohse