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Schirm & ChiffreBomben aufs Wohnzimmerauge

■ Gerburg Treusch-Dieter, Knut Gerwers und Matthias Beltz performten beim Videofest. Und als Loop dabei: Klaus Kinski

„Es gibt viel Schlimmes.“ Klaus Kinski als Nosferatu im Dialog mit der Nacht. Lange vorher beginnt der Film mit einem Auge, das bald von einem aus dem All aufgenommenen Bild der Erde überblendet wird, über der dann auch schon die Bomber kreisen.

„Der Katastrophen-Kreislauf“ ist der Titel der nächtlichen Performance im Rahmen des Videofests; „Wahrnehmung und Wahrwerdung“ des Videokünstlers Knut Gerwers ist Unterpunkt eins. Sein Thema sind die Zusammenhänge und Wechselwirkungen äußerer und innerer Katastrophen: Treffen die Bomben via Television unser wohnzimmerliches Auge, oder projiziert dieses Auge als humaner Videobeamer den Bomber in die Welt, um die aufgestaute Katastrophenhorrorenergie wieder loszuwerden? Der Katastrophenkreislauf wird angetrieben durch das unerträgliche Vakuum, das ein Leben im Hochsicherheitstrakt der Moderne hinterläßt, sagt Gerwers.

Kein Wunder also, wenn die Saringranate in der U-Bahn platzt: „Mein Hirn ist ein Aasfresser.“ Wieder eine dieser Medientheorien, könnte man meinen, in der es keine Politik gibt, keine Ökonomie und keine Gesellschaft, nur dich und den Fernseher. Aber da ist in Gerwers Video „Wernher von Braun“ vor, der Raketen ins All schickt zum Segen der Menschheit. Auf einer Abschußrampe, der die Rampe zur Selektion vorausging, nach Auschwitz oder Dora-Mittelbau.

Die Katastrophe also doch ein Fall für die Dialektik der Aufklärung. Co-Performer Matthias Beltz spinnt den Faden weiter: „,Ich bin ein Stück Dreck‘ ist die Erfahrung der Moderne. Das Stück Dreck will Spaß haben, ist die Forderung der Postmoderne. Da gibt es natürlich keine logische Verbindung. Aus dem Sein läßt sich kein Sollen ableiten.“

Beltz steht zuerst als Fernsehprediger des Bösen in schwarz-roter Kombination auf der Bühne, inklusive Motorradhandschuhe. Sein Angeklagter ist der arbeitende Mensch. Später handeln seine Geschichten von den ganz normalen Amokläufern, den Terroristen von nebenan, die Samstag morgens die Bohrmaschine anwerfen, und vom Horror, mit Apfelessern im gleichen Zugabteil zu sitzen. Auch Gerburg Treusch-Dieter, Professorin in Berlin und Wien, predigt, allerdings ohne sich im komplexen Beltzschen Satireuniversum zu befinden. Sie analysiert die mythischen Basics des Abendlands, um die Erkenntnis zu gewinnen, daß dessen männliches Subjekt alias Odysseus bereits als postkatastrophisches konzipiert ist: „Odysseus' Blick ist der des Fernsehers.“ Gottgeistundverstand (immer wieder ohne Atempause in den Saal geworfen) sind Agenten des abendländischen Masterplans zur Erfüllung der Katastrophe, der „Abort der Abstraktion“ ist eine Hölle und die weibliche Materialität das Ziel von Katastrophe und Vernichtung. Dialektik der Aufklärung mal ganz anders.

Die Positionen von Gerwers, Beltz und Treusch-Dieter bleiben weitestgehend voneinander isoliert. Der durchs Medium genährte Katastrophenkreislauf wird angeklagt, aber auf permanente Katastrophenvideosequenzen als bunte Tapete hinter den Sprechenden dann doch lieber nicht verzichtet. Das Auge hört mit, und auch die Aufklärung über den Katastrophenmotor Medien muß medial so richtig reinknallen, wie sollen wir Katastrophenjunkies das sonst kapieren? Heiner-Müller-Fan Gerwers hatte dazu allerdings zu bedenken gegeben, auch der Künstler stehe schließlich in Lohn und Brot von Katastrophe und Zerstörung.

Am Ende treten die drei gemeinsam auf, um doch noch eine Performance zu simulieren. Auf dem Weg nach Hause war es dann der immer wieder gesampelte und geloopte Kinski, der tief ins postkatastrophische Hirn gedrungen alles auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bringen mußte: Es gibt viel Schlimmes. Ulrich Gutmair

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