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John F. Kennedys Nachbar, Nixons Erzfeind

Benjamin C. Bradlee, bis 1991 legendärer Chef der „Washington Post“, erzählt in seinen Memoiren, wie er den Aufstieg zum bestinformierten Reporter Washingtons schaffte und wie sein Blatt später einen US-Präsidenten stürzte  ■ Von Andreas Odenwald

So spinnefeind wie sie sind zwei Chefredakteure konkurrierender Zeitungen sich wohl selten gewesen. H. M. („Abe“) Rosenthal von der New York Times und Benjamin C. Bradlee von der Washington Post konnten sich noch nie ausstehen. Einer verachtete den anderen. Bei Rosenthal kamen zur Verachtung noch Neid und ohnmächtige Wut: Bradlees Zeitung aus der Hauptstadt hatte dem New Yorker Intelligenzblatt den fettesten journalistischen Brocken der Pressegeschichte Amerikas weggeschnappt: die Watergate-Affäre. Über zwei Jahre lebte die Post von diesem beispiellosen Politskandal fast exklusiv, enthüllte ihn scheibchenweise bis zum bitteren Ende, dem Rücktritt des verantwortlichen Bösewichts Richard Nixon.

Als der Präsident 1974 mit Schimpf und Schande das Weiße Haus verließ, um einer drohenden Amtsenthebung zuvorzukommen, da hatte sich das Blatt aus Washington als führendes Organ der politischen Enthüllung, der Aufklärung und der moralischen Wachsamkeit etabliert, belohnt mit dem begehrten Pulitzerpreis.

Bradlee nutzte die Preisverleihung zu einer Anzüglichkeit: „Eat your heart out, Abe Rosenthal!“ rief er mit spitzbübischem Grinsen, was kaum zu übersetzen ist, aber in etwa bedeutet, der gedemütigte Konkurrent möge sich in den Arsch beißen.

Als Rosenthal 1986 in Rente ging, dauerte es nicht lange, bis eine Biographie über ihn erschien, die – am Rande – mit weiteren Gründen für seine tiefsitzende Abneigung Bradlees aufwartete. Dieser habe auf den Jahrestagungen der amerikanischen Zeitungsbranche immer alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, sei bei allen Kollegen beliebt und stets für einen Scherz gut gewesen. Bradlee, so Rosenthal-Biograph Joseph C. Goulden bewundernd, könne vom Aussehen her ebenso als „korsischer Gangster“ durchgehen – kein Wunder, daß er soviel Erfolg bei den Frauen habe. Abe Rosenthal dagegen, ein eher muffiger und schwergewichtiger Zeitgenosse, habe meistens unbeachtet irgendwo am Rande der Menge gestanden. Eines Abends, nach einer Washingtoner Party, habe er einen Bekannten im Taxi weinerlich gefragt, weshalb niemand ihm, Rosenthal, mal eine Blondine mit so aufregenden Brüsten vorstelle, wie er sie an Bradlees Seite gesehen hatte.

Ben Bradlee ist nicht frei von Eitelkeit, um es vorsichtig auszudrücken. Er hat deshalb, darf man annehmen, die ihn betreffenden Passagen in der Biographie seines Erzfeindes mit Behagen verschlungen. So wie er sich auch gebauchpinselt fühlte, 1973 – als Watergate brodelte – Titelheld auf dem Cover und Ehrengast auf einer Party des Pariser Nachrichtenmagazins L'Express zu sein. Und so wie es sein Ego gewaltig kitzelte, daß der Hollywood-Schauspieler Jason Robards 1976 in Pakulas Watergate-Film „All the President's Men“ („Die Unbestechlichen“) ihn, den Chef der Spürhunde Woodward (Robert Redford) und Bernstein (Dustin Hoffman), so lebensecht und sympathisch verkörpert hat. Schöner ist noch in keinem Pressefilm die Vorfreude des Chefredakteurs auf einen Scoop eingefangen worden – und das in sechs Sekunden.

Bradlee, Jahrgang 1921, räumte im Sommer 1991 den Stuhl des Post-Chefredakteurs, auf dem er fast 24 Jahre gesessen hatte, und folgte dem verhaßten Rosenthal in den Ruhestand. Doch anders als jener, der sich von einem Biographen hatte überrumpeln lassen, nahm der smarte Ben die Aufarbeitung seines Lebens selbst in die Hand. Ende vergangenen Jahres sind im hoch angesehenen Buchverlag Simon & Schuster seine Memoiren erschienen: „A Good Life“. Auf dem Umschlagfoto zeigt ein immer noch blendend aussehender siebzigjähriger Bradlee sein strahlendstes Lächeln: ein aufrichtiger – und nur ein ganz klein bißchen durchtriebener – amerikanischer Optimist, wie er leibt und lebt.

Bradlee war nie ein besonders politischer Mensch und behauptet in seinem Buch sympathischerweise nicht eine Sekunde das Gegenteil. Mit den großen Visionen konnte er immer herzlich wenig anfangen – um so mehr aber mit einer guten Story. Wer dem Chefredakteur eine prächtige, erstklassig recherchierte Geschichte brachte, stand im „Newsroom“-Hofzeremoniell ganz oben. Wer eine schlechte, langweilige Reportage abgeliefert hatte, weinte nächtelang in sein Kissen, denn Bradlee strafte ihn in solchen Fällen mit Mißachtung.

Die goldenen Regeln für gute Stories, die Bradlee bei der Post seinen Schreibern einbleute, hat der Memoirenschreiber Ben Bradlee beherzigt. Auf 500 Seiten erzählt er seine Geschichte spannend, amüsant und immer hoch informativ. Der alte Fuhrmann tappt nicht in die Falle, die im Genre an jeder Ecke lauert: sich als tollen Hecht zu stilisieren. Bradlee wählt die entgegengesetzte Methode. Er hat, darauf legt er Wert, im entscheidenden Moment stets Glück gehabt. Er ist dankbar für das, was er erleben durfte. Mit dem Stilelement Bescheidenheit kann er, der da in Demut vor seinem eigenen aufregenden Journalistenleben steht, sich ruhig ab und zu mal auf die Schulter klopfen, ohne als Angeber zu wirken. Das ist Bradlees dialektischer Trick. Wer die Gabe besitzt, die eigene Eitelkeit selbstironisch zu kommentieren, kann sie um so ungehemmter ausleben. Er tut das ungeniert, mit entwaffnender Offenheit und zauberhaften bis zweifelhaften Anekdoten.

Zauberhaft: Nach dem College (Harvard, versteht sich), drei Jahren Marinekriegsdienst im Pazifik und einem Gastspiel als Mitbesitzer und Jungredakteur bei der New Hampshire Sunday News will Benjamin C. Bradlee, Sohn aus vornehmer Bostoner Familie, 1948 endlich an eine große Zeitung. Er besteigt den Zug nach Baltimore, um sich dort Arbeit zu suchen. Weil es aber in Baltimore in Strömen regnet und er keinen Schirm bei sich hat, fährt er weiter bis Washington, wo er über Beziehungen als Polizeireporter bei der Post unterkommt.

Zweifelhaft: Anfang der fünfziger Jahre arbeitet Ben Bradlee, der als Kind im Elternhaus Französisch sprechen gelernt hatte, als stellvertretender Presseattaché der Pariser US-Botschaft, wertet Zeitungen aus, organisiert Pressekonferenzen und muß – schließlich ist Kalter Krieg – auch mal Drecksarbeit verrichten. Er wird beauftragt, ein möglichst negatives Dossier über die in Amerika der Atomspionage für die Sowjetunion angeklagten Julius und Ethel Rosenberg zu erstellen, um aufgebrachte europäische Journalisten zu beruhigen. Die öffentliche Meinung, besonders in Paris, empörte sich über den fragwürdigen Indizienprozeß und das Todesurteil, das 1953 vollstreckt wurde. An einem Wochenende muß Bradlee nach New York fliegen, unter höchster Geheimhaltung die Gerichtsakten ausflöhen und sofort wieder nach Paris zurückkehren, um sein 40- Seiten-Sudelmanuskript zu erstellen.

In den achtziger Jahren – als am Nimbus Bradlees längst nicht mehr zu kratzen war – hat die amerikanische Jouralistin Deborah Davis behauptet, Ben Bradlee habe damals in Auftrag und Sold des CIA gehandelt; ein Auszahlungsbeleg der Pariser Geheimdienstkasse über die für den Blitzflug nötige Summe diente ihr als Beweis. „Das machte mir einigen Ärger“, gibt Bradlee jetzt in seinen Memoiren zu; doch dann spielt er seine Karte: Weil niemand in der US-Botschaft am frühen Sonnabendmorgen soviel Bargeld auftreiben konnte, habe er, Bradlee, sich das Geld von dem ihm persönlich bekannten CIA- Mann gegen Quittung geliehen und später ordnungsgemäß zurückgezahlt.

Wie auch immer: Das Gefühl, auf dem falschen Bein hurra geschrien zu haben, deprimiert Bradlee. Er wechselt schnell wieder die Lager, bleibt aber in Paris: als Korrespondent des New Yorker Nachrichtenmagazins Newsweek. Wegen seiner guten Kontakte zu den algerischen FNL-Rebellen verweisen die Franzosen ihn des Landes. Auch wenn die Entscheidung nach massiven Protesten prominenter Amerikaner wieder rückgängig gemacht wird – Ben Bradlee hat erstmals eine Regierung geärgert. Er ist „on the right track“.

Ende der fünfziger Jahre ist Bradlee wieder in Washington. Er heuert im Hauptstadtbüro seines Magazins an, das der Astor-Stiftung gehört, aber – wie Insider wissen – verkauft werden soll. Ben und ein paar Spezis nehmen das Geschick von Newsweek, damals noch lange keine ernsthafte Konkurrenz für Times, in ihre Hände. Sie recherchieren, machen sich kundig, und eines Abends ruft Bradlee seinen alten Boss Phil Graham an, den Verleger der Washington Post, und beschwatzt ihn regelrecht, Newsweek zu kaufen. Schließlich, nach aufregenden Wochen, ist der Deal im Kasten. Phil Graham zeigt sich erkenntlich: Ben Bradlee bekommt Unternehmensanteile, über deren Höhe er vornehm schweigt, und übernimmt in Washington die Leitung des Büros.

Und jetzt wird Bradlees Lebensmotto „Glück gehabt“ eindrucksvoll bewiesen: Inzwischen ein wohlhabender Mann, quartiert der Herr Büroleiter sich mit seiner zweiten Frau im vornehmen Washingtoner Stadtteil Georgetown in einer Haushälfte ein – die andere Hälfte wird von John F. und Jackie Kennedy bezogen. Reiner Zufall. Die Ehepaare freunden sich an, feiern zusammen, machen Bootstouren und begießen 1960 Kennedys Wahl zum Präsidenten. Bradlee sitzt an der Quelle: Er ist der bestinformierte Reporter der Haupstadt. Von Kennedys Weibergeschichten, berichtet er jetzt, habe er zu seinem grenzenlosen Entsetzen erst Jahre nach dessen Tod erfahren und es zunächst nicht fassen können. (Bradlee outet sich als ausgesprochen prüde erzogen. Die Freuden der Sinnlichkeit eröffneten sich ihm nach eigener Darstellung erst spät.)

1962, auf einer Party im Weißen Haus, steckt der Präsident seinem Journalistenfreund eine heiße Geschichte: den gerade eben unter höchster Geheimhaltung vollzogenen Austausch des in der UdSSR abgeschossenen amerikanischen Aufklärungspiloten Gary Powers gegen den in Amerika inhaftierten Sowjetspion Rudolph Abel auf der Glienicker Brücke in Berlin. Treuherzig empfiehlt Kennedy, für die in vier Tagen fällige Ausgabe von Newsweek das Titelblatt zu ändern – Bradlee aber zupft seinen Verleger Phil Graham, der auch auf der Party ist, am Ärmel und verkauft ihm die Story für die Ausgabe der Washington Post vom kommenden Morgen.

Zwei Katastrophen im Jahr darauf erschüttern Bradlees Welt: Der manisch-depressive Graham erschießt sich, John F. Kennedy wird ermordet. Zum ersten Mal in seinem Leben sitzt Ben Bradlee heulend über einem eigenen Manuskript: dem Nachruf auf seinen Freund.

1965 bietet Grahams Witwe ihm den Job des „Managing Editor“ bei der Washington Post an und beauftragt ihn, die überfällige Modernisierung des Blattes einzuleiten. Drei Jahre später ist Bradlee Chefredakteur der Zeitung, die er am 4. August 1974 mit der größten und fettesten Überschrift ihrer Geschichte schmückt: „Nixon tritt zurück“.

Sieben Jahre später hat der Gedemütigte Grund zur Schadenfreude: Bradlee, Nixons Todfeind bis an dessen Lebensende, muß eine äußerst peinliche Schlappe einstecken. Eine 24jährige Reporterin namens Janet Cooke hat der Post eine brillant geschriebene, zu Herzen gehende, mit dem Pulitzerpreis belohnte, aber erfundene Story über einen achtjährigen heroinsüchtigen Jungen aus den Slums von Washington untergejubelt. Als die Fälschung auffliegt, gibt die Redaktion unter dem Gespött der Nation den Preis zurück. Bradlee feuert die Autorin und bietet erfolglos den eigenen Rücktritt an.

Mit bußfertiger Offenheit, ähnlich wie zwei Jahre später in Deutschland der Stern nach der „Hitler-Tagebuch“-Affäre, läßt er dann seine Leser an der Aufarbeitung des Skandals teilnehnen und verbessert das Kontrollsystem der Zeitung. Mal wieder Glück gehabt: Das Publikum vergibt, hält derPost die Treue. Sie revanchiert sich mit Qualität. In der Affäre um die verbotenen Waffengeschäfte der Reagan-Administration mit dem Iran und die Unterstützung der nicaraguanischen Contra-Rebellen läuft das gnadenloseste Enthüllungsblatt der Welt wieder zur dauerhaften Hochform auf.

Seinen ungeliebten Gegenspieler Abe Rosenthal hat Ben Bradlee in seiner Lebensbeichte nur einer mageren Erwähnung für wert befunden. Trotzdem hat die Times das Buch kürzlich ausführlich und wohlwollend besprochen. Ob Abe wohl die Faust in der Tasche geballt hat?

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