: Und plötzlich steht der Arbeitgeber am Krankenbett
■ Die Phantasie der Arbeitgeber kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, den Krankenstand zu senken
„Gesundheit läßt sich nicht abkaufen. Wer krank ist, ist krank.“ Ralf Giesing sagt's und verweist auf die fortschrittliche Handhabung in seinem Betrieb. Der Jurist ist Leiter der Arbeitsbeziehungen in der Geschäftsleitung der Opelwerke in Eisenach. Geht es um den Krankenstand, so setzt man bei Opel seit 1992 auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen. Ein Betriebsarzt, drei Krankenschwestern und zwei Ergonomiespezialisten kümmern sich um die rund 19.000 Beschäftigten. In Gesundheitszirkeln setzen sich Betriebsratsmitglieder, Vorgesetzte und Beschäftigte zusammen, analysieren häufig vorkommende Krankheiten und suchen nach Abhilfe. Manchmal helfen einfach schon bessere Wärmedämmungen in den Produktionshallen, mit deren Hilfe die Zugluft verringert wird. Ein anderes Mal können Schallschutz oder bessere Lichtverhältnisse dem Krankheitsrisiko vorbeugen. „Der Arbeitgeber hat ja auch eine Fürsorgepflicht“, meint Giesing. Er ist überzeugt, daß das Management beim Krankenstand „sehr viel mehr tun kann, als in der Regel geschieht“.
Meldet sich ein Arbeiter trotz aller Prophylaxe dennoch krank, dann setzt man in Eisenach seit 1992 auf psychologisches Feingefühl, sprich: die Rückkehrgespräche. Direkt am ersten Arbeitstag erkundigt sich der Meister beim Gesundeten nach dem Wohlbefinden und der Familie.
Eine Checkliste der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) empfiehlt, die „Ursachen des Fehlens“ zu ergründen. Liegen diese im Betrieb, beispielsweise an der zunehmenden Arbeitsbelastung oder am Klima unter den Kollegen, so sollten Vorgesetzter und Mitarbeiter darüber diskutieren, wie eine Veränderung herbeigeführt werden könnte. Dabei, so empfiehlt die BDA, „sollte der Vorgesetzte bei bloßem Verdacht auf Bummelei nicht über mögliche rechtliche Konsequenzen sprechen, weil dies die Vertrauensbasis zwischen ihm und dem Mitarbeiter unnötig beeinträchtigen könnte“. Kann die Ursache für das Fehlen nicht abgestellt werden, so sollte erörtert werden, „ob der Mitarbeiter seiner Aufgabe vielleicht auf Dauer nicht mehr gewachsen ist“.
Auch offensichtlicherem Mobbing verschließen sich die Arbeitgeberverbände nicht: Unangemeldete Hausbesuche bei längerfristig Erkrankten runden die Krankheitsempfehlungen der Arbeitgebervereinigung ab.
Um den Opel-Arbeitern in Eisenach die Krankheit vollends zu verleiden, lobt die Geschäftsleitung seit 1994 Prämien für Anwesenheit, Produktivität und Qualität aus. Das tarifliche Weihnachtsgeld orientiert sich in Eisenach an der Dauer der Betriebszugehörigkeit und erreicht höchstens 50 Prozent des Bruttolohns. Eine 10prozentige Prämie (durchschnittlich 350 Mark) erreicht, wer am Ende des Jahres nur 3 Prozent Fehlzeit aufweist – sprich: ein Arbeiter darf maximal an 7,5 Tagen im Jahr krank sein. Weitere 10 Prozent Prämie erhalten alle Mitarbeiter der drei Produktionsbereiche in Eisenach, wenn sie als kompletter Bereich 97prozentige Anwesenheit nachweisen können.
Diese Regelung schmeckt dem Betriebsrat in Eisenach nicht. Immerhin erreichten zwei Produktionsbereiche im letzten Jahr eine Fehlzeit von 3,2 Prozent – und die Prämie wurde nicht ausgezahlt. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Klaus Franz lehnt das Bonussystem daher ab, denn „je weniger in einem Bereich arbeiten, desto mehr Arbeitsbelastung bleibt an denen hängen, die noch gesund sind“.
Auch das Großhandelsunternehmen Metro in Düsseldorf mit bundesweit rund 18.000 Beschäftigten verbindet die Zahlung des Weihnachtsgeldes mit Anwesenheitsprämien. Damit, so der Betriebsratsvorsitzende Hans Günter Wegner, werde „die Arbeitsleistung des einzelnen honoriert“. Tariflich liegt das Weihnachtsgeld im nordrhein-westfälischen Großhandel bei 600 Mark. Die Metro zahlt übertariflich gestaffeltes Weihnachtsgeld, das bis zu 90 Prozent des Bruttolohns erreichen kann. Dies entspricht einem Weihnachtsgeld in Höhe von 2.700 bis zu 4.500 Mark. Kürzungen drohen jedoch all jenen, die länger als 20 Tage pro Jahr krank sind.
Von einem Krankenstand in Höhe von nur 3 Prozent, wie ihn die Opelwerke in Eisenach aufweisen, können Stadtverwaltungen nur träumen. In Köln liegt die Krankenquote der AußendienstmitarbeiterInnen bei rund 14 Prozent. Aus diesem Grund führte die Kölner Stadtverwaltung für ihre rund 240 Politessen und Abschleppdienste eine Anwesenheitsprämie ein.
Nach einem ausgeklügelten System, das in Absprache mit dem Personalrat entstand, errechnet sich der Bonus je nach Fehlquote, Alter, Sommer- und Winterkrankheiten. Negativ gewertet werden nur Kurzzeiterkrankungen – „Krankheiten von Dauer“, so erklärt der Kölner Personaldezernet Gerhard Kappius, „werden im Bonussystem nicht gezählt“. Die Teilnahme an dem Prämienmodell, für das die Stadt einen gesonderten Geldtopf bereitstellte, ist freiwillig. 80 Prozent aller Politessen spielten im letzten Jahr beim Prämienspiel mit. Durchschnittlich ergatterten sie einen Bonus in Höhe von knapp 800 Mark. Den Krankenstand beeinflußt das Kölner Prämiensystem allerdings nur geringfügig. Er rutschte von 14,39 Prozent im Jahr 1993 auf 13,78 Prozent im vergangenen Jahr.
Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Hans Peter Stihl, kann Prämien daher nur noch wenig abgewinnen. Die hätten sich auch in seinem Unternehmen nicht bewährt. Er bevorzugt die vielgepriesene Gruppenarbeit – „weil Gruppenmitglieder aufeinander angewiesen sind und sich selbst ganz scharf überwachen“. Bleibe da mal jemand mit einer lauen Entschuldigung zu Hause, so würde er von den Kollegen „viel brutaler gedrückt, als das ein Unternehmer je machen würde“. Der „Gruppenzwang zur Disziplin“, so Stihl, habe automatisch geringere Fehlzeiten zur Folge. Karin Flothmann
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