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Spaniens Hauptstadt einig gegen ETA

Entrüstung über den Mord von vergangener Woche: Knapp eine Million Menschen und Politiker aller Richtungen demonstrierten am Montag abend gegen die Gewalt der baskischen Separatisten  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

Blitzlichtgewitter, Gedränge, Applaus, ein Raunen: „Da kommt Felipe.“ Das Polizeispalier öffnet sich, das Seil, mit dem Hunderte als Ordner eingesetzte Gewerkschafter den Prominentenblock säumen, geht hoch. Für alle sichtbar reiht sich Spaniens Regierungspräsident Felipe González hinter dem Transparent ein, hinter der Aufschrift: „Gegen Terrorismus und Gewalt – für die Freiheit“. Ein Gruß nach rechts zu José Maria Aznar von der konservativen Partido Popular, seinem Herausforderer bei den Wahlen am 3. März, und zu seinem Vorgänger im Regierungsamt, Alfonso Suárez, der Spanien von der Diktatur zur Demokratie führte, ein kurzer Händedruck für die Gewerkschaftsführer und die Vertreter der „Vereinigten Linken“, und der Zug setzt sich in Bewegung.

In der ersten Reihe die Protagonisten der Demonstration, die Familienangehörigen der ETA-Opfer. Die Söhne und die Witwe von Francisco Tomás y Valiente, dem vor einer Woche ermordeten ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichtes, daneben der ehemalige Justizminister Enrique Múgica, dessen Bruder Fernando vor zwei Wochen den Kugeln eines Etarras zum Opfer fiel. Der sechsspurige Paseo de Recoletos, Madrids Hauptverkehrsader, ist ein Menschenmeer, soweit das Auge reicht.

Die ganze Stadt scheint auf den Beinen zu sein, von jung bis alt, von links bis rechts. „Die größte Demonstration seit dem gescheiterten Putsch am 23. Februar 1981 – fast eine Million“, sind sich alle Radiosender bereits während der Demonstration einig. Tausende von Studenten der Universität Autonoma in Madrid, wo Tomás y Valiente Rechtsgeschichte unterrichtete, halten die Hände hoch, die offenen Handflächen als Zeichen der Friedfertigkeit weiß bemalt. Eine kleine Gruppe von Rechtsradikalen versucht sich unter sie zu mischen, ein Transparent mit der Aufschrift „Das Volk fordert die Todesstrafe!“ in den Händen. „Ihr seid nicht das Volk!“ schallt es ihnen entgegen. Die weißen Hände drängen sie an den Rand. Die allgegenwärtige Polizei führt die Rechtsradikalen ab.

Der Zug kommt nur langsam vorwärts. Mühsam öffnen Motorradpolizisten den Weg durch unzählige Zuschauer, die seit Stunden im Nieselregen ausharren, um die Prominenz an der Spitze der Demonstration zu sehen, bevor sie sich weiter hinten einreihen. Aber statt González oder Aznar sehen sie lediglich die breiten, in blaue Kampfanzüge gezwängten Schultern der Nationalpolizisten, die den Politikern auf der Straße Geleitschutz geben, während drei Hubschrauber ständig mit ihren Scheinwerfern die umliegenden Straßen und Dächer absuchen.

„Was haben wir euch getan?“ Die Frage, von zwei Jugendlichen auf ein Transparent geschrieben, ist an die ETA gerichtet. Vorn im Prominentenblock gibt es mindestens einen, der auf die Frage etwas zu sagen gewußt hätte: José Barrionuevo, ehemaliger Innenminister unter Felipe González. Er wartet auf sein Verfahren als Rädelsführer der GAL, der „Antiterroristischen Befreiungsgruppen“, denen in den achtziger Jahren 28 Menschen aus dem ETA-Umfeld zum Opfer fielen.

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