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Pinkelwettbewerb

Anthony Quinn wird 80 und hat seine Biographie geschrieben. In Berlin erhielt er die „Goldene Kamera“  ■ Von Kolja Mensing

Eigentlich wollte Anthony Quinn Architekt werden. Mit Frank Lloyd Wright als Mentor standen die Chancen für einen erfolgreichen Berufseinstieg recht gut – doch der Großmeister amerikanischer Architektur war es dann auch, der seinen Möchtegern- Schüler noch vor den ersten Versuchen am Reißbrett an die Abteilung Schauspielerei weitergab. Quinn lispelte, und Wright fand, daß er so keine planerische Vision ordentlich verkaufen könnte. Also schickte er ihn erst zur Zungenoperation und dann zum Sprechunterricht.

Keine Schauspielerbiographie, die nicht von solchen Zufällen und Anekdoten strotzt. Auch Anthony Quinn bedient nun sein Publikum: Wer in seiner Autobiographie „Ein-Mann-Tango“ die Bekenntnisstellen überblättert, an denen er den „Herbst seines Lebens“ als Jahreszeit der Ich-Suche beschwafelt, wird mit reichhaltigem Material belohnt.

80 wird Quinn dieses Jahr. Er hatte also genug Zeit, um einen Haufen Begebenheiten aus der Glamourwelt rund um Hollywood, den Broadway oder Cinecittà zu sammeln. Die Eckpunkte dieses Lebens sind seine Filme: „Alexis Sorbas“ zum Beispiel, „Der Glöckner von Notre-Dame“ oder „La Strada – Straße der Verdammten“. Ein Werk, für das der Schauspieler letzten Mittwoch in Berlin mit der „Goldenen Kamera“ der Hörzu ausgezeichnet wurde.

Geboren wurde Quinn in Mexiko. Sein Vater, Mexikaner irischer Abstammung, kämpfte mit dem Revolutionär Pancho Villa. Daß Sohn Anthony später an der Seite von Marlon Brando in „Viva Zapata“ brillierte, ist nur einer der wenigen großen Zusammenhänge, in denen Quinn sein Leben am liebsten sehen möchte.

Sein eigenes Schicksal sieht er gerne an die große Kunst angebunden: Als er einem Schriftsteller von den Erfahrungen erzählte, die er und seine Eltern als Arbeitsimmigranten auf Obstplantagen in Kalifornien machten, hieß der Literat zufällig John Steinbeck. Und damit ist dann auch endlich geklärt, wer „Früchte des Zorns“ inspirierte. Nachdem Frank Lloyd Wright ihn zum Schauspieler gemacht hatte, bewegt sich Quinns Berufsleben immer wieder zwischen Filmset und Bühne. Er spielt in den 30er und 40er Jahren in Hollywoodproduktionen, heiratet 1937 Katherine, die Tochter des Produzenten Cecil B. De Mille.

Quinn, der sich gerne als politisch engagierten Menschen darstellt, macht auch das schlechte Klima der McCarthy-Ära dafür verantwortlich, daß er sich von Hollywood abwandte, um in New York Theater zu spielen. Dazu kommen aber auch die ersten größeren Probleme in seiner Ehe – mit denen er noch 20 Jahre leben wird – und der ständige Druck, sich gegen seinen allmächtigen Schwiegervater behaupten zu müssen.

„Du solltest dein Leben nicht dauernd als Pinkelwettbewerb sehen“, ermahnte seine Frau Katherine ihn einmal. Anlässe für solche Wettbewerbe gab es für Quinn genug: Wenn er Marlon Brando in dessen Star-Rolle des Stanley Kowalski in Tennessee Williams' „Endstation Sehnsucht“ ersetzen mußte; oder wenn er mit dem gleichen Brando in „Viva Zapata“ spielte und versuchte, ihm die Show zu stehlen, indem er Zigarettenrauch in die Portraitaufnahmen seines Partners hineinblies.

Hahnenkämpfe, die er im Schlafzimmer und in der eigenen Psyche fortsetzte: Die Ehe mit Katherine blieb für Quinn immer durch die Auseinandersetzung mit den Liebhabern belastet, die sie vor ihm hatte. Daß er gleichzeitig pro Filmdreh beziehungsweise Theaterproduktion ein bis zwei Seitensprünge zu verzeichnen hatte, scheint ihm dagegen eher selbstverständlich.

Den USA hat Anthony Rudolph Oaxaca Quinn inzwischen den Rücken gekehrt. Er lebt mit seiner zweiten Frau Iolanda in Italien und verbringt die Tage damit, auf dem Rennrad durch Latium zu fahren.

Im Rückblick stilisiert Quinn manches in seinem Leben und sieht sich selbst am liebsten in der Dauerrolle des störrischen Glücksesels Alexis Sorbas. Die Ernsthaftigkeit aber, mit der er seiner schauspielerischen Arbeit nachgegangen ist und auch noch nachgeht, steht außer Frage. Der Einfluß seines ersten Lehrers und Regisseurs, Elia Kazan, der ihn für das „method acting“ begeisterte, die harmonische Zusammenarbeit mit Fellini an „La Strada“, die Besessenheit, mit der er sich für Fertigstellung finanziell gefährdeter Produktionen einsetzte – Anthony Quinn berichtet von einem Lernprozeß, der ein 80jähriges Schauspielerleben anfüllt.

Anekdoten wie die vom gebrochenen Fuß, mit dem er den „original griechischen Volkstanz“ im „Alexis Sorbas“ improvisierte, geben diesem Bericht die nötige Pointendichte. Die eigentliche Biographie Quinns ist jedoch zwischen den sogenannten amüsanten Begebenheiten und Macho-Inszenierungen zu lesen.

Anthony Quinn (mit Daniel Paisner): „Ein-Mann-Tango“. Hoffmann und Campe, Hamburg 1996, 463 Seiten, geb., 49.80 DM.

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