Frauenpower am PC

■ "Cyberia" heißt das erste Internetcafe in London. Es ist von Frauen gegründet worden - ein unaufhaltsamer Aufstieg

Drei Männer stapfen aus der Kälte zur Tür herein. Vater Nash, sein Sohn und sein Cousin setzen sich an einen der gläsernen Tische. Der Vater schwadroniert über die Zukunft des Internet mit „Real- World-Shopping“, der Cousin spricht am Handy mit seiner Frau. „Zu Hause haben wir auch einen Computer“, plaudert der 12jährige Sohn dazwischen. Er heißt Stephen. Warum sie dann hierhergekommen sind? Der Cousin weiß es genau: Er muß sich die Möglichkeiten von Werbung auf dem World Wide Web erklären lassen.

Hier, im Cyberia-Café? Der wahre Grund für die auswärtige Schulungsmaßnahme ist später zwischen den Köpfen der beiden Männer am Bildschirm zu erkennen: eine kleine weibliche und nackte Frauenfigur in der oberen Bildmitte.

Darüber muß auch Karen Durham-Diggins lachen. „Unsere ursprüngliche Idee war eigentlich, denen ein Forum zu geben, die sonst nie mit dem Internet in Kontakt kommen: den Frauen.“ Aber woher sollen das die Männer der Familie Nash wissen? Von außen sind nur grün leuchtende Fenster und ein paar Bildschirme zu sehen. Auch drinnen mußte der feministische Anspruch modifiziert werden. Ganze Familien und Bürokollektive haben das „Cyberia“ gestürmt, das erste Internetcafé in London. Eine Kontrolle darüber, was auf dem Bildschirm erscheine, sei nun leider nicht mehr möglich, das sah schließlich auch die Pressesprecherin ein.

Eva Pascoe und Gene Teare, Die beiden Gründerinnen, fühlen sich in der Tradition der Berliner, Pariser und Wiener Cafés der 20er Jahre. „Künstler, Intellektuelle und Revolutionäre wie Picasso oder Sartre veröffentlichten für gewöhnlich ihre Manifeste, die sie in den Cafés geschrieben hatten“, heißt es etwas vollmundig auf den Webseiten unter http://www. easynet. co.uk/cyberia/cafe.html.

Cafés jedoch seien auch dazu da, „Freunde zu treffen, Zeitung zu lesen und die wichtigen Ereignisse des Tages zu diskutieren“. Zwar gibt es schon Tausende von Kommunikationsforen im Internet. Aber das hier fehlte: „Der Platz, um ein dezentes Täßchen Kaffee (oder Tee!) zu trinken.“

Nachmittags um zwei sind alle Terminals besetzt. Jason, US- Amerikaner, 23 Jahre alt, mit schwarzer Schirmmütze, Jeans und Sweater, muß warten. Er sitzt bereits seit einer Stunde und vertreibt sich die Zeit mit einem Buch und einer Tasse Kaffee. Fünf Monate lang wohnt er zum Studium in London und kommt drei oder viermal in der Woche hierher, um die E-Mail an seinem Uni-Terminal in Chicago zu lesen.

Sein Landsmann, Bob Mcdonald, 27 Jahre, Rechtsanwalt, kommt aus Washington. Er muß E-Mails abschicken: an seinen Arbeitgeber. Aber auch ein paar Freunde werden mit digitaler Post aus London versorgt.

50.000 Pfund haben die beiden knapp dreißigjährigen Gründerinnen in ihr Projekt investiert. Kurz nach der Eröffnung im September 1994 folgten weitere in Edinburgh und Kingston. Und seit November letzten Jahres ist „Cyberia“ auch auf dem Festland vertreten – im Centre Pompidou in Paris.

Auch das Gebäude in London wurde in den letzten zwei Jahren ausgebaut. In den Büros im ersten Stock wird der Feminismus stärker beachtet als unten im Terminalraum. Unter den mehr als zehn Angestellten sind nur zwei männlich. Alle höheren Positionen sind von Frauen besetzt, von den Chefinnen bis zur Pressesprecherin. „Ein Zufall“, sagt Karen Durham-Diggins und korrigiert sich sofort selber: „Frauen sind einfach besser.“

Im Keller eröffnete im letzten Jahr „Subcyberia“. Channel One, der Fernsehkanal mit Sitz in der Nachbarschaft, sendet von dort sein wöchentliches Programm „Digital World“. Im Konferenzraum nebenan, genannt „Transcyberia“, halten Unternehmen Schulungen zu Internet ab oder lassen sich von Internetspezialistin Kate Sronczynski mögliche Werbung im WWW schmackhaft machen.

Zur jazzigen Hintergrundmusik erzählen Janet und Una, daß sie mit Jugendlichen in London zusammenarbeiten und keine Ahnung vom Internet haben. Später sitzen sie ratlos vor dem Computer und klicken unmotiviert mit der Maus herum. Die dreißig Minuten Internet haben sie zwei Pfund fünfzig gekostet. Hat es sich gelohnt? Die beiden beschließen, es doch erst einmal mit einem der Workshops für AnfängerInnen zu versuchen, die ebenfalls in den unteren Räumen an Werktagen angeboten werden.

Stefanie und Evelyn, zwei Freundinnen aus den USA auf ihrem Kurztrip nach England, sitzen immer noch schweigend am Tisch. Stefanie will vier E-Mails an ihre Freunde schreiben. „Glücklicherweise haben die alle in der Arbeit oder zu Hause einen Computer!“ Evelyn möchte sogar noch ein paar mehr loswerden. „Thinking about you in London“ oder „Freezing without you in London“ soll die elektronische Postkarte mehr oder weniger lauten. Das entspricht ziemlich genau dem Credo der Jungunternehmerin Gene Teare: „Wir wollen die Erfahrungen der neuen Technologien in die Gesellschaft bringen, wo sie auch hingehören. Das ist kein Elite-Medium.“ Aber vielleicht meint sie damit nur das, was auch ihre Pressesprecherin den täglich einlaufenden JournalistInnen sagt: „Bis Ende 1996 werden wir in allen europäischen Hauptstädten vertreten sein.“ Aber auch für Reisende, die in der dreidimensionalen Welt nach Londen fahren, haben die Frauen eine postalische Adresse hinterlassen: 39 Whitfield Street, London W1P 5RE. Elke Eckert

(elke@taz.de)