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Ein Propagandatrick

■ Serben aus Belgrad kehren nicht nach Sarajevo zurück. Evakuierung hält an

Wien (taz) – Die Schlagzeilen sprechen für sich: „Wir dürfen nicht bleiben“, „Die Heimat ist verloren“, „Serben sind Freiwild“. Mit solchen und ähnlichen Balkenüberschriften hetzen Belgrads Massenmedien die heimische Bevölkerung gegen das Friedensabkommen von Dayton auf. Da werden Flüchtlinge aus Sarajevo interviewt, die immer das gleiche beklagen: Eigentlich wollten sie gar nicht die serbisch besetzten Stadtteile Sarajevos verlassen, aber vor die Wahl gestellt, künftig unter „islamischer Vorherrschaft“ oder in Freiheit zu leben, seien sie zum Weggehen gezwungen.

Um zu unterstreichen, wie heimatverbunden die bosnischen Serben sind, brachte das Belgrader Fernsehen am Dienstag eine Reportage aus einem Flüchtlingscamp im südserbischen Gornji Milanovac, wo sich 40 Familien auf eine Erkundungsfahrt nach Sarajevo vorbereiten. Anfang kommender Woche wollten sie mit ihren Habseligkeiten aufbrechen, sagte einer der Organisatoren. Wahrscheinlich werden die Rückkehrer bald feststellen, daß ihre vorgeschobenen Erwartungen unerfüllt bleiben – und das ist beabsichtigt. Das Belgrader Regime verfolgt mit der derzeitigen Pressekampagne das Ziel, auch das serbische Volk als Opfer des Bosnienkrieges darzustellen. Wie heuchlerisch diese Propaganda ist, zeigt sich an den massiven Evakuierungsvorbereitungen in Sarajevo. Auch gestern verließen Hunderte bosnischer Serben unter massivem Druck ihrer Führung Sarajevo, und das trotz heftiger Schneefälle. Die oppositionelle Tageszeitung Naša Borba schrieb gestern, der Exodus der etwa 50.000 Einwohner werde bis ins letzte Detail vorbereitet. Jede Wohnung und jedes Haus, jedes zurückgelassene Möbelstück und jeder Flecken landwirtschaftlicher Nutzfläche würden in Grundbüchern exakt festgehalten, um spätere Besitzansprüche leichter geltend machen zu können. In Belgrad existierten bereits Listen, in denen jeder Serbenfamilie aus Sarajevo eine neue Wohnung und, falls möglich, auch ein neuer Arbeitsplatz zugewiesen wird. Nichts werde dem Zufall überlassen, schreibt Naša Borba, das Zusammenspiel zwischen Präsident Milošević und dem international gesuchten Kriegsverbrecher Karadžić funktioniere derzeit reibungslos.

In Mostar war die Situation einen Tag nach der Wiederherstellung der völligen Bewegungsfreiheit gestern ruhig. Die Schranken der kroatischen Kontrollposten waren geöffnet, die gemischten Polizeieinheiten patrouillierten in der Stadt. Die gemeinsamen Polizeipatrouillen waren noch gestern mit mehrstündiger Verspätung aufgenommen worden. Karl Gersuny

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