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Der erste Kuß ist unbequem

Eis essen, Nagellack trinken: Eine frische, glaub- und märchenhafte Fingerübung ist „Things I never told you“ (Panorama) von Isabel Coixet  ■ Von Anke Westphal

Das ist mal ein Film, also aufgepaßt: Ann ist Verkäuferin für Elektrowaren. Eines schönen Tages sieht sie im Supermarkt eine Frau heulen — warum wohl? Ihr Lieblingseis ist ausverkauft! Dumme Kuh, denkt Ann, und ahnt nicht, wie unsachlich dieser Gedanke ist, denn das gute Häagen Dazs soll sich bald als letzte Feste in Anns Leben erweisen.

Ann wird nämlich von ihrem Freund verlassen, nimmt darauf einen kräftigen Schluck aus der Nagellackflasche und findet sich im Krankenhaus wieder. Plötzlich hat dieser Film, den man für harmlos verdreht hielt, etwas Französisches: einen stillen, irgendwie geblümten Charme. Schlaglichtartig hält die Kamera auf den Alltag von fünf mitteljungen Leuten zwischen dreißig und fünfunddreißig, die irgendwo in einer Kleinstadt im amerikanischen Mittelwesten mehr oder minder friedlich vor sich hin leben. Es wird viel geredet und dabei gelassen erzählt, der Film kommt mit einem Minimum an Musik und schnellen Schnitten aus, und auf einmal hat man unerträglich gute Laune. Isabel Coixet — wer ist diese Frau?, mehr von ihr! — ist zwar eine gewisse Vorliebe für Hal Hartley anzumerken, doch schlägt diese kleine Sympathie nie in Affenliebe um. Und das bewahrt diese frische, behutsame Fingerübung vor den Hartleyschen Manierismen. „Things I never told you“ hat uncoole Verlegenheit statt hohler Typologie und Verliebtheit anstelle retouchierter Gefühle. Lili Taylor ist so graziös wie unprätentiös, und Alexis Arquette kommt einem vor wie ein besserer und schönerer Bill Pullman.

Ann jammert ihren Kummer in eine Videokamera, Paul sieht sich den Film heimlich an, Don macht Telefonseelsorge bei der Hopeline, und doch kommt am Ende mehr raus als Sex, Lügen und blaustichige Videotapes. Man sieht, in wie unbequemer Haltung jedes Mal der erste Kuß getauscht wird — da kann man alt werden wie eine Kuh, es ändert sich doch nichts an dieser Erfahrung. Dazu paßt, daß die Außen- wie Innenräume wirken, und auch uns geht es am Ende wie der von neuer Hoffnung erfüllten Ann: „I lived all the years with this belief in a happy ending.“

Oder, um mit jenem Mann zu sprechen, der den Film besingt: „It's not unusual to be loved by someone“ (Tom Jones). Anke Westphal

„Things I never told you“, Spanien/USA 1995, 90 Min, Regie: Isabel Coixet. Mit Lili Taylor, Alexis Arquette, Andrew McCarthy

Heute um 21 Uhr im Atelier am Zoo. Wh.: am 24.2. um 16 Uhr und am 25.2. um 21 Uhr im Filmpalast Berlin

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