■ Chaos-Tage in der Friedrichstraße: Symbol Kaufhaus
Das Problem mit Symbolen ist, daß sie in den wenigsten Fällen mit der Wirklichkeit übereinstimmen. Das aus den Augen zu verlieren kommt teuer zu stehen. Die Geschichte der Bebauung der Friedrichstraße seit dem Mauerfall beweist dies in besonderer Weise. Kapitalisten sind nicht jene eiskalt kalkulierenden Buchhalter, so ist dort zu lernen, sondern waren nach dem Mauerfall die Opfer einer kollektiven Selbstsuggestion, gerade in der alten Prachtmeile sei nun das schnelle Geld zu verdienen.
Die vor der Eröffnung stehenden Galeries Lafayette sind ein Beispiel dafür, wohin es führt, wenn die Bedingungen, unter denen eine europäische Stadt funktioniert, nicht beachtet werden: Es muß auch Menschen geben, die dort wohnen, arbeiten und dem Stadtteil Lebendigkeit verleihen. So aber stehen die Büropaläste wie auch das Kaufhaus im Niemandsland der zerborstenen Illusionen von Kapitalisten. Nicht einmal Unternehmen wollen in die anonymen Betonkästen ziehen. Traurig braucht man darüber nicht zu sein.
Die autonome Szene aber ist demselben Symbolismus verfallen. Bei der Ankündigung von Chaos-Tagen anläßlich der Eröffnung der Galeries Lafayette steht die große Klappe im umgekehrten Verhältnis zur geschwundenden Bedeutung der Bewegung. Man gähnt nur noch über die Stilisierung des Kaufhauses zum Babel der Bonzen. Die Aufrufe beweisen nur, daß ihre Autoren lange nicht mehr in einem Kaufhaus waren. Die Flugblätter machen zugleich klar, daß die Autoren zu den exemplarischen Veränderungen der Stadt kaum noch einen Bezug haben. Sonst hätten sich bei den Protesten gegen den Tiergartentunnel nicht nur ein paar Naturschützer versammelt. Der Chaos-Aufruf ist deshalb nur ein Reflex; nicht aus der Analyse gesteuert, sondern aus dem Bauch. Zumindest dies haben die Autonomen mit dem Kapital gemein. Gerd Nowakowski
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