„Ich bin etwas wie ein DJ in meinen Filmen“

■ Und der Hauptdarsteller ist die Stadt Hongkong: Wong Kar-Wai, Regisseur von „Fallen Angels“, über Vorbilder und das neueste Stadium des Hongkong-Films

taz: Der „Killer“ in Ihrem Film wirkt auf den ersten Blick eigentlich nicht wie ein krimineller Schwerverbrecher, sondern – ähnlich wie Alain Delon als „Le Samourai“ – wie ein einsamer Bargänger, der gelegentlich elegante Auftragsmorde erledigt. Gibt es da für Sie eine Verbindung?

Wong Kar-Wei: Durchaus. Wir haben ohne ein vollständiges Drebuch angefangen zu drehen. Also gebe ich meinen Kollegen manchmal Verweise oder Beispiele, die erklären, wie etwas gemeint ist. Der erste Teil von „Chungking Express“ beispielsweise sollte einen Touch „Gloria“ von Cassavetes haben, der zweite etwas von einem Musical. Bei der „Killer“-Story haben wir tatsächlich an „Le Samourai“ von Melville gedacht.

„Fallen Angels“ entfernt sich weit vom klassisch harten Hongkong-Killer-Film. Er ist fast ein Killer-Märchen.

Für mich ist es eher ein Comic. Die Charaktere sind sehr skizzenhaft, das meiste passiert rasend schnell. Comics sind sehr populär in Hongkong. Hier bei Ihnen lesen die Leute in der U-Bahn Romane, also richtig dicke Bücher, in Hongkong liest man Comics.

Deshalb trägt der stumme Rumtreiber „Ho“ also auch ein „Tank-Girl“-T-Shirt, auf dem steht „Mother Figure“?

Das ist Ihnen aufgefallen? Eigentlich war das nur ein kleines „Hallo“ an den Zuschauer.

Es ist behauptet worden, ihr Film habe viel mit der heutigen Realität in der Metropole Hongkong zu tun.

Der Film hat nicht viel von einem Hongkong-Film, aber er ist sehr „Hongkong“. Was ich damit sagen will, ist, daß in „Chungking Express“ und „Fallens Angels“ beide Male der eigentliche Hauptdarsteller des Films die Stadt ist. Jede der Figuren könnte die Projektion einer anderen sein. „Blondie“, die Frau mit der Perücke, könnte „Killer“ sein, „Cherry“ könnte „Agent“, die Auftraggeberin von „Killer“ sein. Sie sind untereinander austauschbar, nur der Ort bleibt gleich. Wir haben da von Antonionis Film „Eclipse“ gelernt. Jede Straßenecke verdient mehr Beachtung als eine einzelne flüchtige Filmfigur. Hongkong ist ein Ort, an dem Leute aus sehr verschiedenen Regionen und Kulturen zusammenleben. Als ich ein Kind war, gab es in unserer Gegend einen Haufen Kinos. Also habe ich sehr früh alles gesehen: Hollywood-Filme, europäische Filme, japanische Produktionen. Heute ist die Welt dank Video noch viel kleiner.

Einmal trifft „Killer“ einen alten Schulfreund und sagt: „Auch Killer haben Schulkameraden“, ein anderes Mal sitzt ein Paar wie in einem Aquarium nebeneinander, in Gedanken versunken. Beide Szenen wurden im Gegensatz zum restlichen, exzessiv colorierten Film in schwarz-weiß gedreht. Warum?Ich habe an Originalschauplätzen gedreht und da sind die Farben einfach sehr stark. Aber eigentlich hasse ich Farben, am liebsten würde ich Schwarz- Weiß-Filme drehen. Zu den angesprochenen Szenen: Ich wollte das jeder Charakter eine gewisse Brechung hat. Das sind Szenen absoluter Einsamkeit. Was zuerst sehr romantisch erscheint, ist es gar nicht, weil jeder mit seinen Gedanken ganz woanders ist.

Woran denken Sie zuerst, wenn Sie einen Film planen?

Zuerst ist der Schauplatz da, dann die Schauspieler. Der Plot kommt als letzter. Ich habe immer bestimmte Schauspieler im Kopf, bevor ich mir eine Story ausdenke. Schließlich benutze ich die Musik, die dazu kommt, als „Sound“. Für die Nächte von „Fallen Angels“ waren das Radioshows aus Hongkong. Ich bin so etwas wie der DJ in meinen Filmen.

Warum ist der Hongkong- Krimi so ein beliebtes Genre, das parodiert, oder wie in Ihrem Fall künstlerisch verzerrt wird?

Acton ist einfach ein sehr filmischer Moment, und das wird auch so bleiben. Im übrigen geht es inzwischen nicht mehr ums Parodieren oder Verfremden, eigentlich sind wir schon im Stadium des Recyclens. In den Sechzigern hat die französische „Nouvelle Vague“ ihre Inspiration zum Beispiel vom amerikanischen B-Movie bezogen, um etwas Neues zu schaffen. Dafür sind Genres einfach da. Interview: Gudrun Holz