: „Die Menschen sind bereit für einen Aufstand“
■ Scheich Umar Ibrahim, Berater von Muhammad Bakr al-Hakim, Oberhaupt der Dachorganisation der schiitischen Opposition Iraks in Teheran, über die Situation im Irak
taz: Hätte Hussein Kamil nicht wissen müssen, was ihm blüht?
Er war psychologisch am Ende. Er war über seinen Aufenthalt in Jordanien verzweifelt. Kein einziger irakischer Oppositioneller wollte mit ihm zusammenarbeiten. Alle Staaten der Region haben ihn boykottiert. In dieser Situation hat ihm der Irakische Revolutionsrat (nach Saddam das einflußreichste Gremium im Irak; d. Red.) Gnade versprochen.
Wie konnte Hussein Kamil diesem Versprechen glauben? Er war nicht der erste Verwandte, den Saddam Hussein umbringen ließ.
Das Gnadenversprechen des Revolutionsrates wurde öffentlich bekanntgegeben. Das hat Hussein Kamil Mut gemacht. Zudem hat er auf seine extrem engen Familienbande zu Saddam Hussein vertraut. Bis zu seiner Flucht hatte er keine Konflikte mit ihm, nur mit dessen Sohn Udai.
Welchen Einfluß wird die Ermordung auf den engsten Kreis um Saddam Hussein haben?
Niemand wird versuchen, Kamils Experiment zu wiederholen. Um das Regime zu verändern, hilft jetzt nur noch Gewalt. Sein Tod ist erst der Anfang von Konflikten in der regierenden Clique.
Mittelfristig wird die Tat Saddam also schwächen?
Ja. Vielleicht wird sich die regierende Familie sogar spalten. Und auch im Ausland hat Saddam Hussein jetzt überhaupt kein Vertrauen mehr. In den letzten Monaten hat er behauptet, er würde das Land demokratisieren. Letztes Jahr hat er ein Referendum über seine Präsidentschaft durchführen lassen und für dieses Jahr Parlamentswahlen angekündigt. Aber die Ermordung Hussein Kamils hat diesen Versuch eines Imagewandels zerstört.
Wie sieht nach dem gescheiterten Überlaufversuch die Strategie der irakischen Opposition aus?
Wir glauben nicht an einen Militärcoup oder einen Putsch aus dem engsten Umfeld Saddam Husseins, so wie die USA es wollen. Ein Wechsel kann nur durch eine gemeinsame Bewegung der irakischen Bevölkerung und der irakischen Armee zustande kommen. Wir verhandeln gerade mit allen Fraktionen der irakischen Opposition darüber. Wir müssen allen Gruppierungen der irakischen Bevölkerung eine klare Botschaft geben – Sunniten, Schiiten und Kurden –, daß wir den Irak gegen Saddam Hussein vereinen wollen.
Wie lange wird es Ihrer Ansicht nach noch dauern, bis Saddam Hussein gestürzt sein wird?
Vielleicht passiert das schon in diesem Jahr. Wenn sich die USA nicht einmischen. Das Regime ist sehr schwach. Die Menschen im Irak sind bereit für einen Aufstand. Interview: Th. Dreger, Teheran
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