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Wer erschoß Olof Palme?

Am 28. Februar 1986 wurde der schwedische Ministerpräsident ermordet. Die Tat bleibt bis heute ungeklärt. Doch Spuren gibt es genug: Sie führen direkt in die Polizei  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Stockholm, 28 Februar 1986. 23.21 Uhr. Ein Ehepaar geht nach einem Kinobesuch zur U-Bahn- Station, um nach Hause zu fahren. Vor einem Farbengeschäft wartet schon seit einigen Minuten ein Mann. Als das Ehepaar an ihm vorübergeht, spricht dieser es an: „Palme“. Zweimal schießt er mit einer großkalibrigen Waffe. Schwedens Ministerpräsident Olof Palme ist tot. Auf offener Straße, im Zentrum der Hauptstadt ermordet.

Schweden ist ein Land, in dem ansonsten Mörder nicht lange auf offener Straße herumlaufen. 98 Prozent aller Morde werden aufgeklärt, alle Polizistenmörder der letzten 30 Jahre wurden gefaßt und abgeurteilt. Doch der „wichtigste“ Mord seit über zwei Jahrhunderten ist auch zehn Jahre danach ungeklärt. In wenigen Wochen wird die spezielle Fahndungsgruppe, die sich zuletzt nur noch damit beschäftigte, alle 16.000 Spuren noch einmal durchzugehen, aufgelöst. Falls der Mörder nicht irgendwann selbst mit einem „Ich war's“ an die Öffentlichkeit tritt, bleibt die Ermordung Palmes ein Rätsel. Für die Justiz.

Denn es gibt Spuren: Nicht die Polizei, sondern die Medien haben ein Puzzle zusammengetragen, das fast komplett erscheint. Es gibt Zeugen, die den Täter beschreiben können, seinen auffallenden Gang und seinen Fluchtweg. Ein Zeuge verfolgt ihn einige Häuserblocks – bis er wie vom Boden verschluckt verschwindet.

Das Ende Palmes ist der Beginn einer Geschichte, die für die einen eine beispiellose Aneinanderreihung von Fahndungspannen ist, für andere das perfekt inszenierte Komplott. Deren Urheber werden dort vermutet, wo eigentlich Recht und Ordnung in Schweden geschützt werden sollen.

Olof Palme. Ausgewiesener Linker unter den westeuropäischen Regierungschefs. Mit dem Mut, Ungerechtigkeiten und Völkermord beim Namen zu nennen – auch wenn der Name „USA“ heißt. Ein Ministerpräsident aber auch, der auf einem Auge gefährlich blind zu sein scheint: wenn es um Waffenlieferungen an zweifelhafte ausländische Regime geht, nur um die eigene Rüstungsindustrie nicht arbeitslos zu machen. Überall in diesen politischen Aktivitäten wird man später nach Motiven für seine Ermordung suchen. Die Drahtzieher abwechselnd bei CIA und KGB, der faschistischen Loge P2, der PKK, dem Irak, dem Iran suchen. Doch die Hauptspur ist eine inländische. Im März 1984, zwei Jahre vor seinem Tod, war Palme vom damaligen Geheimdienstchef Sven Åke Hjälmroth über eine rechtsradikale Kameradschaft in der Stockholmer Polizei informiert worden. Es ging um neonazistische Sprüche, der Hitlergruß gehörte zum Szenario, Haßtiraden gegen den „linken Palme“, der Schweden an die Sowjetunion „verkaufen“ wolle, waren ein immer wiederkehrendes Thema. Viele aus dieser Kameradschaft hatten zur 1983 aufgelösten „Baseball-Liga“ gehört, einer vom Stockholmer Polizeichef 1982 initiierten Spezialeinheit zur Bekämpfung der Drogenkriminalität, die vor allem durch ungesetzliche und brutale Übergriffe von sich reden machte. Die Kritik an dieser Schlägertruppe wurde so übermächtig, daß sie nicht einmal ein Jahr existierte.

Ihr Leiter wurde in die Provinz versetzt, ihre Mitglieder über verschiedene Polizeidistrikte der Hauptstadt verteilt. Ihre persönliche Verbindung behielten sie durch regelmäßige Treffen, an denen zwischen 20 und 30 aktive oder ehemalige Polizeibeamte teilnahmen. Bekannt rechtslastiges Zentrum der Polizei in Stockholm: der Distrikt Norrmalm, in dem schon die Baseball-Liga wirkte – und in dem auch der Mordplatz liegt. Einige der dortigen Beamten bezeichnen sich öffentlich als Faschisten, einer pflegt ein Hakenkreuzabzeichen zu tragen. Einen Tag nach der Ermordung Palmes feiert das Revier ein Fest, auf dem ein Toast auf die Ermordung Palmes ausgesprochen wird.

Wenigstens sieben der bekannten Mitglieder der rechten Polizeikameradschaft waren nach Recherchen von Journalisten entweder persönlich in der Nähe des Tatorts oder hatten auffälligen Bezug zu den Geschehnissen. Wie es überhaupt in dieser Nacht dort eine Ballung von Polizisten und anderen mit Walkie-talkies ausgestatteten Personen gegeben hat: Im Lauf der Jahre wurde rekonstruiert, daß sich in einem Umkreis von 400 Metern um den Mordplatz in der Stunde des Anschlags nicht weniger als 30 Polizeibeamte aufhielten. 18 von ihnen können keine schlüssige Erklärung für ihre Anwesenheit geben und keiner war dort im amtlichen Einsatz.

Im Zentrum dieser „Polizeispur“ taucht der damalige Polizist, Mitglied der Baseball-Liga und jetzige Waffenhändler „Ö“ auf. Es gibt ein ganzes Repertoire von Fotos, auf denen er mit dem Hitler-Gruß posiert. Acht Stunden vor dem Mord wird ein Sketch über die Ermordung eines schwedischen Staatsmanns gesendet. „Ö“ hat für den Tatzeitpunkt kein Alibi. Doch in einem Beleidigungsprozeß gegen eine Zeitung, die „Ö“ unter Veröffentlichung seines Bildes und mit richtigem Namen als Mordverdächtigen anprangert, wird der Chef der Palme- Fahndung Jahre später unter Eid aussagen, man habe sein Alibi überprüft.

Hans Holmér, als Polizeichef von Stockholm Initiator des rechtsradikalen Schläger-Trupps, wird Leiter der Palme-Mordermittlungen. Auf eigenes Begehren bekommt er Leibwächter zugeteilt. Die ausgebildeten Leibwächter von Geheimdienst und Polizei lehnt er ab. Er sucht sich drei Vertraute aus: Ex-Mitglieder der Baseball-Liga ohne Leibwächterausbildung. Sie begleiten ihn jetzt ständig, haben vollen Einblick in die Fahndungsarbeit. Jahre später dazu befragt, will er deren rechtsradikalen Hintergrund nicht gekannt haben. Die Sicherheitspolizei (SÄPO), die Bescheid wußte, habe ihn nicht informiert.

Holmér bleibt in seiner Fahndungsarbeit ergebnislos. Er arbeitet auffallend unprofessionell und fehlerhaft. Er beschreibt auf Pressekonferenzen den Täter und seine Kleidung abweichend von Zeugenaussagen. Er läßt ein Phantombild des angeblichen Täters veröffentlichen, von dem der zuständige Staatsanwalt zehn Jahre später sagen wird, es habe wesentlich dazu beigetragen, einen Fahndungserfolg zu verhindern. Der gleiche Staatsanwalt und zwei seiner mit der Ermittlungsarbeit befaßten Kollegen glauben mehrere Hinweise zu haben, daß sie abgehört worden sind. Von der Fahndungsgruppe der Polizei unter ihrem Chef Hans Holmér.

Der stürzt sich auf eine „PKK- Spur“, für die es kein einziges Indiz gibt. Er veranstaltet Razzien gegen kurdische Einrichtungen und Privatwohnungen, die später im Reichstag als „schwerer Gesetzesbruch“ gewertet werden. Nach einer erneuten Massenverhaftung von KurdInnen im Januar 1987 setzt die Regierung ihn ab. Die neue Fahndungsleitung präsentiert einen 40jährigen Alkoholiker als Täter, dem der Prozeß gemacht und der in zweiter Instanz freigesprochen wird. Fahndungsleiter Hans Ölvebro: „Wir sind an allen Tips interessiert. Die einzige Spur, mit der ich mich nicht befasse, ist die sogenannte Polizeispur.“

Schwedens ehemaliger UN- Botschafter und Palme-Vertrauter Anders Ferm äußert kurz nach dem Attentat in einem Interview, es sei besser, die Wahrheit komme nicht heraus. Das Volk sei nicht reif, sie zu hören. Und Hans Holmér wird mit einem Satz zitiert, den er unmittelbar nach dem Mord gesagt haben soll: „Die Lösung des Palme-Mordes würde die Regierung stürzen und Schweden in seinen Grundfesten erschüttern.“

Auf Druck der Öffentlichkeit setzt Schwedens Regierung im Lauf der Jahre drei verschiedene Untersuchungskommissionen ein, die sich mit der Fahndungsarbeit nach dem Palme-Mord befassen sollen. Zu irgendeinem brauchbaren Ergebnis kommt keine von ihnen – die vorläufig letzte will im Herbst einen Abschlußbericht vorlegen, der laut einem ihrer Mitglieder „nichts Neues“ enthalten werde. Die breite Öffentlichkeit interessiert das Thema schon lange nicht mehr: Die Mehrheit der SchwedInnen ist überzeugt, daß die Tat nie aufgeklärt werden wird.

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