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„Ich brauche weder einen Guru noch Pfaffen oder Papst“

■ betr.: „Scientology: Helnwein färbt schön“, taz vom 10./11. 2. 96

Als ich den Artikel von Frank Nordhausen gelesen habe, der über mich in der taz erschienen ist, habe ich mir gedacht – wenn Frank zu den elektronischen Medien wechseln würde, könnte er sich mit seinem Talent bei „Stern-TV“ eine goldene Nase verdienen.

Unbelastet durch irgendwelche lästige Recherche phantasiert er munter dahin: „Der Düsseldorfer Comic-Künstler Gottfried Helnwein sorgt für Wirbel“. – Daß ich Düsseldorfer bin, höre ich zum ersten Mal – wie kommt er darauf? (Wien liegt doch ungefähr 1.200 Kilometer weiter südöstlich – und nicht mal in Deutschland.)

Da ich noch nie in meinem Leben auch nur einen einzigen Comic strip gezeichnet habe, frage ich mich, wieso ich ein Comic-Künstler sein soll. Oder hat Frank wieder etwas verwechselt? – Denkt er, ein Künstler, der eine Comic-Sammlung hat, ist ein Comic-Künstler?

Unter der Abbildung eines Aquarelles von mir steht: „Helnweins Schock-Plakat – von Scientology-Gründer Ron I. Hubbard inspiriert?“ Leider stammt dieses Bild aus dem Jahre 1970, und da ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie etwas von Scientology und dessen Gründer gehört hatte, kann ich ja nicht gut von ihm inspiriert worden sein.

Da Frank unaufmerksam ist und nicht zuhört, wenn man ihm was sagt, will ich es gerne wiederholen: Ich distanziere mich von Scientology und allen Sekten und Kirchen, welcher Art auch immer, und von deren Ideologien – dies gilt übrigens auch für die Sekte des Pfarrers Gandow. Ich brauche weder einen Guru noch einen Pfaffen oder Papst, der mir sagt, was ich denken, tun oder lassen soll.

1988 habe ich zur Erinnerung an die sogenannte „Reichskristallnacht“ vor 50 Jahren eine Bilderstraße zwischen Museum Ludwig und dem Kölner Dom errichtet. Ich habe zirka vier Meter hohe Kindergesichter fast 100 Meter lang aneinandergereiht und den Anfang der Reihe mit dem Nazi- Begriff „Selektion“ versehen. Dies war ein Versuch, daran zu erinnern, wie diese Wahnsinnsidee vom lebenswerten und lebensunwerten Leben Millionen Menschen in diesem Land das Leben gekostet hat. Folgerichtig verübten Neonazis einen Anschlag auf diese Bilder und zerstörten sie, indem sie die Kindergesichter mit Messern aufschlitzten.

Wenn nun Pfarrer Gandow versucht, diese Bilder geheimnisvoll mit irgendwelchen angeblichen Sektenideologien in Verbindung zu bringen, und behauptet, sie propagierten offene Gewalt, dann kann ich ihm nur empfehlen, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wie krank muß jemand sein, der den Anblick eines Kindergesichtes als Aufruf zur Gewalt versteht!

Außerdem empfehle ich dem Pfarrer, sich auch mit der Geschichte seiner eigenen Sekte im Tausendjährigen Reich zu beschäftigen. Vielleicht erklärt er uns dann, was die offizielle Parole der evangelischen deutschen Christen, „Wir sind die SA Jesu Christi“, bedeuten soll. Gottfried Helnwein

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