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Angriff der Party-Pooper

■ Es rappelt in der Kiste: Traum und Elend der deutschen Filmkritik. Tarantino, Rodriguez und Co präsentieren "Four Rooms" und geben den Auguren üppig recht

In Woody Allens antiker Komödie „Mighty Aphrodite“ wird ein Auftritt Kassandras von dem Ruf „Here comes old party pooper“ begleitet. Würdige Nachfolge findet die skeptische Dame dieser Tage auch in der Zeit, wo Filmredakteur Andreas Kilb erst kürzlich noch angesichts von „Jade“, „Strange Days“, „Showgirls“, „Copykill“, „Seven“ und so weiter eindringlich warnte: „Sex und Gewalt, Horror und Ekstase, Schaulust und Überwältigung“, das sei es, worauf das Kino dieser Tage (!!) hinauswolle. Die „Agonie der Phantasie“ sei zu beklagen: „Das Kino der Tüftler hat das Kino der Visionen erstickt“, wahrscheinlich im „Popcorn der Nacktheit“ und im „Ketchup der Gewalt“. Langsam verlösche das Leben des Kinos, nicht zuletzt deshalb, weil „die Welt, in der ,Sabrina‘ spielte, die Welt der Herrschaften und ihrer Dienerschaft, die Welt der Gesellschaftsabende und der Bildungsreisen nach Paris“ einfach nicht mehr da sei. Statt dessen könne Sabrina heute jeden bekommen, so wie auch jeder „Sabrina“ haben könne, aus Fernsehen, Filmmuseum, Videothek.

Aha, möchte man meinen, daher weht der Wind: womöglich sind auch die salad days des Zeit- Feuilletons ein wenig gezählt, und jeder dahergelaufene, selbsternannte Zuschauer kann sich nun über die Filmklassik hermachen, indem er in die Videothek geht und da unautorisiert herumgrapscht. Und nach Paris der Bildung wegen will auch keiner mehr reisen, lieber wollen sie nach Las Vegas und für fünf Dollar Ketchup, Gewalt, Sex erwerben und phantasielos darin herumschmatzen.

Peter Buchka wollte in der Süddeutschen dann eigentlich tapfer eine Entgegnung schreiben, eine Lanze für die Popcorn-Moderne brechen, reißt den Karren dann aber in letzter Minute noch in dieselbe Fahrrinne, hinter ein bißchen mühseliger Affirmation verborgen: „Wir wohnen einer Stereotypisierung bei, die aus einer neuen Sprache erwächst, welche wir allesamt erst noch lernen müssen... Der Liebesakt im Swimmingpool [,Showgirls‘] mag manchem als Pornographie erscheinen; wenn er aber inszeniert ist wie eine performance im Nachtclub, dann erscheint hinter der vorgeblichen Direktheit eben doch ein Rätsel, das gelöst und interpretiert sein will.“ Und wen braucht man dazu logischerweise noch immer? Support your local Kunstrichter! Kann schon sein, daß einem ab einem gewissen Mannesalter etwas rätselhaft wird, was man da mit den Mädchen im Swimmingpool so machte, aber Buchka hat sich abgefunden: „Wer nun glaubt, hier einem zivilisatorischen Rückschritt beizuwohnen, der mag sich damit trösten, daß der Mensch trotz allen Fortschritts der alte Affe geblieben ist: Noch immer geht es nur um Sex, Geld und Macht.“ Ja, der Aff', mit seinen jahrtausendelangen Börsenspekulationen, ts ts ts.

Nun, mit „Four Rooms“ steht wieder frisches Ketchup auf dem Tisch und Sex und Gewalt und was du willst. Es handelt sich, in einer Art neuer United-Artists-Emphase, um eine Koproduktion von Quentin Tarantino, Allison Anders („Gas Food Lodging“), Alexandre Rockwell („In the Soup“) und Robert Rodriguez („From Dusk till Dawn“). Es ist ein Episodenfilm, der – wie die „New York Stories“ – von nichts als einer Topographie zusammengehalten wird, dem Hotel Mon Signor nämlich in Los Angeles, und zwar zur Silvesternacht.

Man öffnet eine ziemlich abgefuckte Augsburger Puppenkiste und blickt mit den aufgerissenen Augen des Hotelpagen Ted the Bellhop (Tim Roth) in Zimmer, die man besser nie geöffnet hätte. Menschen im Hotel. Voilà: Madonna, Antonio Banderas, Lili Taylor, Jennifer Beals und andere.

Es wird schon ein rechter Humbug sein

Wenn in einem Presseheft schon steht „Allison Anders beschwört in ihrer Episode augenzwinkernd das ewig Weibliche“, dann weiß man Bescheid: es wird schon ein rechter Humbug sein. Und so kommt es dann auch. Madonna (die tatsächlich unsicher zwinkert, als sei sie plötzlich in die Sesamstraße geraten), checkt mit Tomlin und anderen („eine Gruppe leibhaftiger, appetitlicher Hexen“) in die Honeymoon Suite ein. Sie köcheln sich etwas zusammen, zum Teil barbüsig, und zwar um ihre Supergoddess Diana (!), eine Stripperin, wieder zum Leben zu erwecken. Aber Eva, die Novizin, hat ein wichtiges Ingredienz nicht eingebracht: frisches Sperma („I got so hot, I swallowed it“). Hier muß Bellhop Ted einspringen. Noch ganz verdattert von der mädchenpensionatshaften Unkompliziertheit der Einfälle nimmt man zur Kenntnis, daß die nächste Episode von Alexandre Rockwell nicht mal einen erstaunten Lacher mehr abwirft. Ich sage nur: 357er Magnum, eifersüchtiger Siegfried (bedeut, bedeut), gefesselte Schöne und der arme Ted. Auch Tarantinos kleine Episode um den Hollywood-Mogul bleibt harm- und zahnlos.

Nur bei Rodriguez mußte ich dann so lachen, daß mir Popcorn, Ketchup, Macht und Geld und Affen und alles gleichzeitig vom Kinosessel glitschten. Antonio Banderas, der ohnehin der komischste Macho der Filmgeschichte ist, möchte sich mit seiner schönen Frau mal wieder einen duften Abend machen. Champagner, Party, gegeltes Haar und anschließend oh là là. Ist schließlich Silvester. Bloß blöd: die Kinderlein. Na, wer muß wieder einspringen! Ted the Bellhop. Logischerweise geschieht dann alles, vom gegenseitigen Beriechen kindlicher Käsefüße bis zum Pfeilwerfen mit riesigen Injektionsspritzen, dem Pornokanal, einer Prostituiertenleiche im Bettkasten und einem kleinen Zimmerbrand. Genau als all dieser Irrsinn auf seinem Höhepunkt angekommen ist, treten die erschütterten Eltern ins Zimmer. Trefflicher läßt sich die Lage zwischen deutscher Filmkritik und ihrem Publikum wohl kaum fassen. Mariam Niroumand

„Four Rooms“, von Quentin Tarantino, Robert Rodriguez, Allison Anders, Alexandre Rockwell.

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