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Serbische Rettungsinsel für Muslime

Im bosnischen Prijedor, dem Zentrum ethnischer Säuberungen, setzt sich ein serbischer Polizist für Muslime ein. Dafür hat die serbische Gemeinschaft seine Familie ausgestoßen  ■ Von Julian Borger

Sein Gesicht sieht aus wie tausend andere, die an serbischen Staßensperren unter einer Polizistenmütze hervorsehen: rundlich und leicht gerötet infolge lebenslangen Konsums von Schinken und Slibowitz. Außerdem hat er denselben leicht trüben und starren Blick, dasselbe rüde Benehmen und dieselbe Schwäche für Pistolen. Es ist kaum verwunderlich, daß die örtlichen Muslime lange gezögert haben, bis sie Dusko ihr Vertrauen schenkten. Jetzt ist er der einzige, auf den sie sich verlassen können.

In Prijedor, dem Epizentrum der „ethnischen Säuberungen“ – hier wurden Tausende von Muslimen vertrieben, gefangengenommen oder ermordet, während liberale Serben wegschauten oder emigrierten – hier in Prijedor hat Dusko das Undenkbare getan. Der Sohn eines serbischen Polizisten blieb und bemühte sich zu helfen.

Zuerst half er nur einzelnen Familien. Aber im Oktober letzten Jahres begann er, in Prijedor ein Netz von gleichgesinnten Serben zu organisieren, um Nahrungsmittel an hungernde Muslime zu verteilen und sie vor den ständig drohenden Übergriffen des Karadžić- Regimes zu beschützen.

Seine Zweizimmerwohnung wurde zur winzigen Rettungsinsel eines serbischen Schindler: überfüllt mit Moslems, die bei der Rückkehr von erzwungenen Arbeitseinsätzen ihre Häuser beschlagnahmt und mit serbischen Flüchtlingen belegt fanden und keine andere Zuflucht hatten.

Wegen dieser Bemühungen sieht sich Dusko immer wieder bedroht. Seine Wohnung ist eine kleine Festung, die mit Pistolen und Handgranaten verteidigt wird. Seine Familie wurde aufgrund ihres „Verrats“ aus der Gemeinschaft der Serben ausgestoßen.

„Vor ein paar Wochen“, erzählt Dusko, „haben sie meine Tochter verprügelt – sie ist sieben Jahre alt. Mit Schlägen auf den Kopf, nur weil ihr Vater moslemische Kinder durchfüttert. Die Leute sind verrückt geworden.“

Nach 5 Uhr abends kommt keiner in die Wohnung, der nicht angemeldet ist. „Es wäre zu gefährlich“, sagt Dusko. Er lächelt und machte einen Schrank auf, aus dem er eine automatische Pistole hervorholt. Im Flur fingert er eine weitere Pistole aus einem Versteck und präsentiert wie von Zaubererhand – und mit Stolz auf sein Arsenal – noch zwei Handgranaten.

„Ich weiß schon, wie ich mich schütze. Wer mit mir Ärger haben will, bekommt ihn auch“, meint er und wiegt in jeder Hand eine Handgranate. Moslems dürfen in der „Republika Srpska“ keine Waffen tragen. Nur ein Serbe kann die Art von Schutz gewähren, die man in Prijedor respektiert.

Hunderte haben dank Dusko überlebt

Obwohl Dusko sich nicht gerade schüchtern präsentiert, soll sein richtiger Name nicht in der Zeitung stehen. „Sie wissen ohnehin, um wen es sich handelt“, sagt er, aber man sollte es ihnen dennoch nicht zu einfach machen.

Vertreter internationaler Hilfsorganisationen im nahegelegenen Banja Luka gehen davon aus, daß Hunderte von Moslems aus Prijedor den Krieg dank Dusko überleben konnten. Die einen hat er aufgenommen und durchgefüttert, den anderen hat er geholfen, das serbisch kontrollierte Territorium zu verlassen.

Ein beinamputierter Mann, der mit anderen Muslimen bei Dusko auf dem Sofa sitzt, erläutert: „Für uns gibt es keine andere Zuflucht. Wenn wir noch immer auf der Straße sitzen müßten, wären wir längst tot.“ Im letzten September war er zum Fronteinsatz einer „Arbeitsbrigade“ rekrutiert worden und hatte dabei ein Bein verloren. Als er nach Prijedor zurückkehrte, hatte man seine Eltern vertrieben, seine Frau war mit den Kindern nach Kroatien geflohen.

„Was Dusko getan hat, ist sehr bemerkenswert“, sagte ein UN- Vertreter in Banja Luka. „Viele serbische Familien haben versucht, einzelnen muslimischen Nachbarn zu helfen, aber er ist weiter gegangen als alle anderen. Und das in Anbetracht eines enormen Risikos. Wenn ein Serbe einem Muslimen hilft und es kommt heraus, ist er schlechter dran als der Muslime, weil er als Verräter gilt.“

Ibrahim Hililović, der Mufti von Banja Luka, hat im Januar sein taktisch motiviertes Schweigen aufgegeben und sich bei den Serben bedankt, die in den letzten vier Jahren ihren muslimischen Mitbürgern geholfen haben. Aber er meinte auch, es sei noch zu gefährlich, ihre Namen oder die Art ihrer Hilfeleistungen preiszugeben.

Das Risiko war unter Umständen sehr groß. Ein Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Banja Luka berichtet von mehreren Serben, die im Verdacht standen, Muslimen geholfen zu haben und dafür aus ihren Wohnungen hinausgeworfen wurden – vor allem letztes Jahr, als Tausende serbische Flüchtlinge aus Kroatien und Westbosnien vor der kroatische Armee und den bosnischen Regierungstruppen geflüchtet waren.

Doch wie konnte Dusko überleben? Die halbe Antwort ist sein furchteinflößendes Waffenarsenal und seine offenkundige Bereitschaft, es auch einzusetzen. Außerdem hat er auch gekonnt seine serbischen Kontakte spielen lassen. Sein Vater war bei der lokalen Polizei, und Dusko versteht es, zum richtigen Zeitpunkt eine Flasche Brandy zu präsentieren und mit den Freunden des alten Herrn zu plauschen.

In Prijedor ist er inzwischen zur Anlaufstation für eine Handvoll anderer Serben geworden, die ebenso hilfsbereit sind, sich aber nicht trauen, die Initiative zu ergreifen. Sie lassen ihm Nahrungsmittel und Kleidungsstücke zukommen. Ein serbischer Bekannter betätigt sich heute immerhin schon als Buchhalter für Duskos Hilfsunternehmen.

Alle waren mit allen verwandt

Wenn man Dusko fragt, warum er das Risiko auf sich nimmt, versiegt sein Redefluß. Die Frage ist ihm offenbar peinlich. Er erwähnt nur, daß er mit einer Muslimin verheiratet, also mit einem ganzen Netz von Verwandten verbunden ist. „Sechzig Prozent der hiesigen Moslems lebten in gemischten Ehen. Hier waren alle mit allen verwandt“, meint er.

Dann verstummt er, und man merkt sofort warum: Es ist natürlich die falsche Frage. Eine seiner moslemischen Freunde in Banja Luka stellt die Frage anders: „Wir wollen einfach wissen, und die Serben sind uns eine Antwort schuldig: Warum hat es so wenig Menschen wie Dusko gegeben?“

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