Stasi bunkerte Höllenzeug

Auftakt im Prozeß wegen des Sprengsstoffanschlags auf das „Maison de France“. Verteidiger fordern Aussetzung  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Er sieht jünger aus, als die Bilder nach seiner Festnahme im letzten Sommer suggerierten. Und wie die rechte Hand des Terror-Paten Carlos wirkt Johannes Weinrich auch nicht. Höfliches Auftreten, adrette Jacke, Nickelbrille. Der 48jährige, der hinter einem Verschlag aus Panzerglas im Berliner Kriminalgericht Platz nehmen muß, könnte ebenso ein biederer Senatsangestellter sein.

Weinrich sitzt allein im Sicherheitskäfig. Seine Mitangeklagten, der Syrer Nabil Schritah und der Ex-Stasi-Offizier Wilhelm Borotowski, verfolgen die Anklageverlesung von der gegenüberliegenden Saalseite. Oberstaatsanwalt Detlev Mehlis beschuldigt die drei, am 25. 8. 1983 den Sprengstoffanschlag auf das „Maison de France“ am Berliner Kurfürstendamm verübt zu haben. Um 11.20 Uhr waren damals im vierten Stock der französischen Kultureinrichtung 24 Kilo des Sprengstoffs Nitropenta in die Luft geflogen. Ein Teil des Gebäudes stürzte ein, ein Mann starb, über 20 Personen wurden verletzt.

Bei Weinrich spricht der Staatsanwalt von Mord. Als Carlos' Stellvertreter soll er das Attentat geplant und durchgezogen haben. Als Teil einer mörderischen Vergeltungsserie, mit der die Carlos- Gruppe zwei in Frankreich inhaftierte Mitglieder freipressen wollten. Schritah und Borotowski sollen „Beihilfe“ geleistet haben.

Die Anklage scheint schlüssig, der Hergang halbwegs aufgeklärt. Nach dem Fall der Mauer stießen die Fahnder auf Unterlagen der Staatssicherheit. Diese belegen, daß Weinrich im Mai 1983 über Rumänien einreiste und dabei den Sprengstoff im Gepäck hatte. Auf dem Schönefelder Flughafen stellte die Stasi das Nitropenta sicher. Wilhelm Borotowski, für die nachrichtendienstliche Bearbeitung der Carlos-Gruppe zuständig, bunkerte anschließend das Höllenzeug in einer Waffenkammer. Und auf Veranlassung seines Vorgesetzten, Oberstleutnant Voigt, ließ Borotowski später Weinrichs Gepäck in dessen Ostberliner Hotel konspirativ durchsuchen. Dabei sei die „detaillierte Planung des Anschlages“ aufgedeckt worden.

Weinrich wiederum habe anschließend immer wieder bei der Stasi interveniert, am Ende auch mit diplomatischen Konsequenzen gedroht – bis Mielkes Ministerium am 16. August den Sprengstoff wieder herausrückte.

Mit dem Sprengstoff hat sich Weinrich dann in die syrische Botschaft in Ostberlin begeben. Im Beisein des dritten Sekretärs Nabil Schritah habe Weinrich dann den Sprengstoff mit einer Zündeinrichtung versehen. Über die Akten hinaus wird Weinrich besonders durch eine von Schritahs früheren Aussagen belastet. Bei seinen Vernehmungen hatte der Syrer angegeben, Weinrich habe sich im Anschluß an den Anschlag ihm gegenüber mit seiner Beteiligung gebrüstet. Soweit scheint den Anklägern der Fall klar. In einem früheren Prozeß wurde Oberstleutnant Voigt wegen Beihilfe zu vier Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Weinrichs Verteidiger sehen das anders: Sie verlangen eine Aussetzung des Verfahrens und umfangreiche Nachermittlungen. Anwalt Rainer Elfferding zog vor allem Schritahs Aussagen in Zweifel. Weder sei der Mann freiwillig vor Gericht erschienen, noch könne seinen Angaben Glauben geschenkt werden. BND und BKA hätten Schritah massiv unter Druck gesetzt. Sie sollen dem Syrer unter anderem Stasiakten vorgehalten haben, in denen von seinen guten Kontakten zu CIA-Mitarbeitern die Rede ist. Schritah, sagen die Anwälte, habe auch früher behauptet, Weinrich habe sich mit seiner Teilnahme am Opec-Anschlag wichtig machen wollen. Eine Teilnahme Weinrichs beim Wiener Anschlag werde aber nicht einmal von der Staatsanwaltschaft unterstellt. Der Prozeß wird fortgesetzt.