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Oskars Boot ist voll

■ Er will die CDU/CSU mit reinnehmen

Weiß die SPD noch, was sie will? Es darf gezweifelt werden. Keine vier Monate ist es her, da schrieb sie sich die erleichterte Einbürgerung der Aussiedler auf die Fahnen. Nun soll deren Zuwanderung gedrosselt werden. Bis dato betonten auch die SPD-Sozialexperten die Notwendigkeit eines Arbeitskräfteimports, um das Rentensystem auch künftig zu stabilisieren. Nun sollen die Arbeitskräfte der Rußlanddeutschen eine unerwünschte Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sein. Man weiß nicht, ob man mehr über Lafontaines Populismus erregt oder über die Kopflosigkeit der sozialdemokratischen Migrationspolitik erstaunt sein soll. Nicht weniger schlimm als des Vorsitzenden Geschwätz ist das degoutante Rechtfertigen, dessen sich seine Genossen nun befleißigen. Da begründet Otto Schily Lafontaines Position mit mangelhaften Integrationsmaßnahmen für Aussiedler. Welche Logik! Demnächst wird er die weitere Einschränkung des Asylrechts fordern und dabei auf die miserablen Asylunterkünfte in den Flughäfen verweisen.

Kaum haben sich die Sozialdemokraten solchermaßen als integrationspolitischer Saulus geoutet, meinen nun die Regierungsparteien, sie könnten auf deren Kosten den Paulus mimen. Sie kramen fröhlich im Betroffenheitsarsenal, aus dem sich ansonsten die SPD munitioniert, wenn CDU/CSU und FDP mal wieder über Asylbewerber herziehen. So laut das gegenseitige Gezeter, so gemeinsam das Anliegen. Der Zuzug soll begrenzt werden, Taktik bestimmt das Geschäft. Bloß nicht die schlafenden Deutschen an der Wolga wecken, sie kämen womöglich schneller, als es der Großen Koalition lieb ist. Große Koalition? Natürlich ist es eine. Sie reicht, mindestens, vom CSU-Generalsekretär Protzner bis Lafontaine. Allein das verquaste christdemokratische Dogma der Deutschblütigkeit verschleiert die Gemeinsamkeit einer rationalen Politik der demographischen Bestandssicherung nach kurzfristigen wirtschaftlichen Kriterien.

Lafontaines Kunstgriff besteht darin, der Union ihre eigene Melodie vorzupfeifen, um sie zu einem gemeinsamen Vorgehen zu bewegen. Er tutet ins gleiche nationale Horn, aus dem die ihn ansonsten doch so schmerzenden Töne kommen. Mehr Opportunismus kann die Union eigentlich von einem sich bietenden Regierungspartner kaum erwarten. Dieter Rulff

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