: Die Kür des Autors in Ich-Form
Hans Scherer, schöngeistiger Journalist und weltgewandter Globetrotter aus Profession, ist der Lonely Cowboy des deutschen Reisefeuilletons. Seine guten Geschichten schreibt er locker aus dem Bauch, sinnlich und unmittelbar ■ Von Edith Kresta
„H.S. trägt am liebsten Jeans, kleingemusterte Socken, Seidenhemden von Yamamoto und einen weiten Pullover darüber.“
In der Tat die passende Garderobe für einen Journalisten in Sachen Reisen, lässig und stilvoll zugleich. Ein überaus praktischer Globetrotteraufzug bis auf die Seidenhemden, die gebügelt werden müssen. H.S. ist das Kürzel von Hans Scherer, Journalist und Berufsreisender. Scherer schreibt für den Reiseteil der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
In der Anderen Bibliothek, von Hans Magnus Enzensberger herausgegeben, wurden bereits veröffentlichte Reiseberichte Scherers zu dem Band „Stopover – ein Jahr auf Reisen“ überarbeitet und zusammengefaßt. Obige Beschreibung des Autors mit seinen Kleidervorlieben findet sich im Anhang des Buchs.
Unternehmenslustig wie die Jeans, weltgewandt und fein wie das Seidenhemd von Yamamoto sind auch die Reisen des Hans Scherer. Ob mit „einer kühnen Kombination aus einer chinesischen Dschunke und einer arabischen Dau“ auf dem Amazonas oder mit einem „veritablen Luxusschiff“ durchs Mittelmeer: Scherer, der Lonely Cowboy des deutschen Reisefeuilletons, macht eine gute Figur. Und er schreibt gute Geschichten. Abenteuer von fernen Gestaden schüttelt er scheinbar aus dem Handgelenk, wie Käpt'n Blaubär, nur wahrer. Stellvertretend für seine Leserschaft, hauptsächlich arrivierte FAZ-Klientel, schweift er unablässig durch die Welt, überwindet Distanzen, um ihr das Ferne und Fremde nahezubringen.
Und Hans Scherer kann erzählen. „Von der Trostlosigkeit im Iran“, die hinter den Mauern seines Fünfsternehotels lauert, oder „dem unverwechselbaren Geruch Indiens, diesem Gemisch aus Sandelholz, modrigem Laub, heißem Fett, Exkrementen und abgestandenem Urin, Rosenöl und Weihrauch“. Er schafft Atmosphäre, Länder und Menschen bekommen Konturen, geformt durch Scherers subjektive Sichtweise, gefiltert durch seinen gutbürgerlichen Blick. So fühlt sich der Lehnstuhl-Reisende auch noch im bulgarischen Badeort Druschba heimelig. Scherer sondiert das Terrain.
Er schreibt keine anstrengenden Reportagen, die nach aufwendiger Recherche und qualvoll konstruiertem rotem Faden riechen. Er schreibt locker aus dem Bauch, sinnlich, unmittelbar, ohne schwerfällige Zitate. Journalistische Pflichtübungen hat er längst hinter sich gelassen. Scherer läuft Kür in Ich-Form. Sein Augenmerk gilt dem Detail, seine Stärke ist die anschauliche Schilderung, die schöngeistige Assoziation. Und wenn er beschreibt, wie „kalt“ es in Capri im Winter ist, warum er Sofia „ehrlich“ findet oder wie „angenehm“ es sich als Schloßherr für einen Tag leben läßt, zittert, staunt und genießt der Leser mit ihm.
Wo immer Hans Scherer aufkreuzt, findet er irgendwie sein Thema. Mag es sich auch in tiefsitzenden Betrachtungen zum „Geheimnis der Badehose“ erschöpfen – man nimmt es ihm ab. Er langweilt seine Leser nicht mit inhaltsgeschwängerter Information, und er überfordert sie nicht durch Tiefenschärfe. Viel lieber will er erzählen. Am liebsten über Hans Scherer auf Reisen, über seine Impressionen und Einfälle.
Hans Scherer: „Stopover. Ein Jahr auf Reisen“. Andere Bibliothek, Eichborn Verlag, Frankfurt 1995, 416 S., 48 DM
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