: Ochsige Alemannen, kaputte Gullivers
■ Zynische Türken rappen zurück: „Kanak Sprak“ von Feridan Zaimoglu
Während der deutsche Gutmensch schon bei der korrekten Benennung unserer Türken – ähem ... ausländischen Mitbürger ... Einwanderer türkischer Herkunft ... – ins Stottern gerät, bringt das gemeine Volk es einfacher auf den Punkt: „die Kanaken“. Zwei Dutzend der so Geadelten hat Feridun Zaimoglu (Jahrgang '64, seit circa 27 Jahren in Deutschland und Mitgründer der türkischen Literaturzeitschrift Argos) die simple Frage gestellt: Wie lebt es sich als Kanake in Deutschland? „Das weiß ich wohl: ich spiel in der liga der verdammten, so verdammt und zugenagelt wie der ochsige alemanne kann ich aber bei gott nicht sein. So tief rutscht bei mir die würde nicht in die hose, daß ich mit blondem busch auf'm schädel und nullmannesstolz talent im leib ein hundeleben führ wie das des alemannen, der die zucht bei ner dominavettel holt und sonst ordnung kläfft, wenn so'n kanake wie ich fremden rasengrund betritt. Was soll überhaupt dies pomadenschiß von deutsch-ist-nummer-eins-was-gibt, wo jeder klar sieht, daß auch der niedrigste und sperrigste aus'm asiatenreich mehr manieren und memoiren hat. Schau dir doch dies ariervölkchen an: die haben von ihresgleichen die schnauze gestrichen voll und reisen weit weg, wo sie sich wie kaputte gullivers im zwergenstaat aufführen, daß einem als sehender die scham die kalotte preßt“ (Hakan, 22, Kfz-Geselle).
Zu Wort kommen Rapper und Frauenhändler, zwei männliche Huren, Working class heroes und Arbeitslose, Hehler, ein Soziologe, ein Junkie, ein Psychiatriepatient, ein Dichter, ein asylsuchender Revolutionär, ein Islamist. Der jüngste ist 13, der älteste 33. Eine Transsexuelle mal ausgenommen, allesamt Männer; die Frau, rechtfertigt Zaimoglu seine faule Reduzierung der „Kanak Kids“ auf die männliche Minderheit, „steht unter Hausarrest, von der Außenwelt abgeschnitten und für jeden Fremden, somit auch für mich, unerreichbar“. Dementsprechend kreisen auch die meisten Texte um das primäre Denkorgan des Mannes: „Ich hab so meine macken, und ich brauch, was'n mann braucht, aber, mann, an ne normale tussi kommst du so leicht nicht ran, als kümmel von der müllfraktion hast du gleich verschissen, die machen da'n bogen um dich, als würdest du fischig ranzen, also sag ich mir, das kann ich doch leichter haben, kein ewiges schleichen und zucker husten, damit die tussi endlich sich'n ruck gibt, ich leg'n schein da auf'n tisch, und denn geht's zur prächtigen übung ...“ (Tarkan, 28, Müllkutscher) – „... und weil du ne rissige untersohle bist von oberhundigen reichmännern, bleibst du gestraft mit mäßigschrecklichen ficks mit ner vettel, wo schon bei der wie pottsau sich falten tut ihr speckpansen“ (Hüdaver, 22, arbeitslos).
Nicht alle Beiträge strotzen so von ungebrochener Männlichkeit, auch wenn ein gewisser Zynismus zum allgemeinen Grundton gehört. Die zumeist trotzig hingeworfenen Statements zielen nicht auf Mitleid, sondern auf Provokation, nicht auf anbiedernde Multikulti- Folklore, sondern das Recht, auch als „Kanake“ links, rechts, sozial oder ein stolzes Arschloch zu sein. Darüber hinaus entzieht sich die Sammlung den üblichen soziologischen Annäherungsversuchen. Biographische Hintergrundinformationen fehlen, die Sprache ist, auch wenn Zaimoglu im Vorwort von „Protokollen“ spricht, nicht „authentisch“, sondern die Kunstsprache eines Autors, die man nicht von der Straße (& auch nicht aus dem Rap) kennt, wohl aber aus Anthony Burgess' „Clockwork Orange“. Also möge der zukünftige Leser das Vorwort nicht so ernst nehmen und die folgenden „24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“ als ein Stück starker Literatur erleben.
„Kanak Sprak“ hätte alle Chancen, als kleiner Bruder und zeitgemäße Ergänzung auch in vielen jugendlichen Schlafzimmern seinen wohlverdienten Platz neben Burgess' Kultbuch einzunehmen, würde der Rotbuch Verlag nicht seit dem (Aus-)Verkauf an die Europäische Verlagsanstalt mit einer derart unprofessionellen Preis„kalkulation“ aufwarten, die es fertig bringt, ein auf 141 Seiten aufgeblasenes Taschenbuch für freche 29,80 Mark anzubieten. Klaus Farin
Feridun Zaimoglu: „Kanak Sprak. 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft“. Rotbuch Verlag, 141 Seiten, 29,80 Mark
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