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In London war „Afrika – Die Kunst eines Kontinents“ der Höhepunkt des Kulturjahres 1995. Nur die Kritik zweifelte: Kann man die afrikanischen Schätze ohne ethnographischen Rahmen als Kunst präsentieren? Jetzt sind sie im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen Von Harald Fricke

Fetische zwischen den Zeiten

Der Auftritt von Berlins Ausstellungskönig Christos M. Joachimedes war kurz. Selbst er sei sprachlos über das Zustandekommen der „Afrika“-Schau, die nach ihrem überwältigenden Erfolg in London für den Martin-Gropius-Bau gewonnen werden konnte. Danach wandert der Schatz nach New York ins Guggenheim-Museum.

800 Stücke traditioneller afrikanischer Kunst aus allen Sammlungen der Welt – das ist in der Tat ein Ereignis, das frühere Bemühungen um „Tribal Art“ wie etwa die „Primitivism“-Ausstellung 1984 im Museum of Modern Art weit überstrahlt. Verantwortlich für die Konzeption des Mammutprojekts ist der britische Künstler Tom Phillips, ein Mitglied der Royal Academy of Arts. Seine Liebe zu Masken, Grabbeigaben und Stammesreliquien geht bis in die Studienzeit zurück, als der mittlerweile 58jährige im British Museum einzelne Figuren abzeichnete. Seit 25 Jahren sammelt er selbst Africana.

Im Martin-Gropius-Bau begegnet man dieser Leidenschaft als Reise quer durch den Kontinent. In jedem Raum sind die klassizistischen Stuckdecken mit einem speziellen Tuch abgehängt, so daß man – einer Designerlaune von Jürg Steiner folgend – bald von blauen, bald von gelblichen Baldachinen umweht wird. Ansonsten bleiben Kunst und Kitsch allerdings getrennt. Auf einem Rundparcours wird man von Saal zu Saal auf einen Weg geleitet, der Afrika in sieben Regionen teilt: Nach Ägypten/Nubien und den Vielvölkergemeinschaften in Ostafrika sind erstmals Gegenstände aus Südafrika zu sehen. Über 1.200 Jahre alte Lydenburg-Köpfe aus Ton, die wie ein Helm bei Initiationsriten getragen wurden, finden sich in Vitrinen neben schematisierten phallischen Statuen. Ein paar Kästen weiter sind kleine Schnupftabakbehälter des 19. Jahrhunderts ausgestellt, die aus Fell und mit Blut vermischtem Ton hergestellt wurden. Ihre Oberfläche ist in feinen Mustern gezackt.

Die umfangreichsten Sektionen stammen aus Zentral- und Westafrika. Die tropischen Regenwälder des Kongo sind in einer verblüffenden Vielzahl je nach Stammeszugehörigkeit zu Zauber- und Ahnenfiguren oder elegantem Mobiliar verarbeitet worden. Besonders auffällig sind fein ziselierte dreibeinige Hocker und Kopfstützen. An den reduzierten Gebrauchsgegenständen offenbart sich ein ungeheuer ökonomisches und doch brillantes Design: Drei Stuhlbeine stehen in der unebenen Landschaft besser als jeder Bauhaus-Hocker. Auch sonst herrscht in diesen Regionen die Abstraktion vor: Ein Tierkopf der Yangere (Tschad) verbindet geometrische Formen so kühl und sachlich, daß man die gehörnte Maske eher als am Computer entworfenes Produkt ansehen würde.

Westafrika/Guineaküste sind mit einer Objektfülle vertreten, die durchaus an die Materialschlachten europäischer Kunstspektakel heranreicht. So pendelt man zwischen nigerianischen Leoparden aus Elfenbein, figurenreichen Zeremonialstäben der Ijo des Nigerdeltas und in Messing geschlagenen, talismangroßen Masken der Benin. Eine documenta wirkt mit ihren zahllosen Artefakten kaum anders. Tatsächlich ist der Grad der Vermischung in der Küstenregion durch Kolonial- und Glaubensmächte als Besatzer so weit fortgeschritten, daß sich die Konturen der Dan-Masken (Elfenbeinküste) kaum mehr von den europäischen Idealen des Kubismus unterscheiden. Ein Zufall?

Die ausschließlich künstlerisch geprägte Liebe zu den Objekten hat Phillips schon bei der Londoner Präsentation massive Kritik eingebracht. Immer wieder wurde bezweifelt, daß es sich bei den von ihm ausgewählten Gegenständen wirklich um Kunst handelt. Im Times Literary Supplement beschwerte sich John Ryle darüber, daß die Ausstellung bloß „den Fetisch fetischisieren“ würde. Sie sei nichts anderes als der Versuch, die eigenen ästhetischen Kriterien auf einen fremden Kontinent auszuweiten, dessen Sprachen gar keinen Begriff für „Kunst“ besitzen – geschweige denn eine damit verbundene Vorstellung.

Diese Skepsis hat vor allem in Europa Tradition. Seit der Aufklärung haben Philosophen die Idee der autonomen Kunst nicht nur gegen das Handwerk abgesetzt, sondern auch von anderen Kulturkreisen. Für Kant waren Afrikaner aufgrund ihrer Natur nicht in der Lage, Schönheit zu produzieren, Hegel sprach dem Schwarzen Kontinent überhaupt jede Kulturfähigkeit ab, da man dort nicht einmal des Schriftgebrauchs mächtig war.

Im Martin-Gropius-Bau entpuppt sich diese Art der Ausgrenzung schnell als Konstrukt. Es sind gerade die europäischen Wertmaßstäbe, nach denen etwa ein „Häuptlingsstuhl“ (spätes 19. Jahrhundert) der Nyamwezi aus Tansania den Anforderungen moderner Bildhauerei entspricht. Als freistehende Plastik klammert sich eine schmale Figur an die Rückenlehne, während ihr Kopf über der planen Frontseite hervorlugt. Statt an der den „Primitiven“ unterstellten Unmittelbarkeit zu kleben, spielt das Objekt mit Perspektiven und Räumlichkeit. Vielleicht hätte die Ausstellung sich etwas weniger materialreich auf solche komplexen Details beschränken sollen. Auch in Afrika liegt der Reiz im Verborgenen.

Zum Ende der Ausstellung scheinen die Objekte sich wieder mehr der europäischen Entwicklungsgeschichte unterzuordnen. Im Anschluß an verwitterte Tonfiguren aus Sahel und Savanne werden die Gegenstände sehr viel dekorativer, die Formen zunehmend konservativ. Jede Vase ist mit Inschriften und Zeichen beladen. Im ganzen Bereich von Nordafrika spiegeln sich wie Jahresringe eines Baumes die Einflüsse vom alten Rom, dem Christentum und einem noch immer mächtigen Islam nacheinander wider. Daß „Afrika“ zuletzt doch wieder an Europa grenzt, mag eine Verbeugung des Künstlers Tom Phillips vor seinen Auftraggebern gewesen sein. Immerhin gilt es, nicht nur den kulturellen Austausch vor der Jahrtausendwende in den Griff zu bekommen, sondern auch die Wirtschaftsmärkte des ehemals kolonialisierten Kontinents.

„Afrika – Kunst eines Kontinents“, bis 1. Mai im Martin-Gropius-Bau, Berlin, tgl. 10–20 Uhr, Stresemannstraße 110. Katalog (Prestel Verlag), 600 S., in der Ausstellung 58 DM

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