: Unbegreiflich dumme Löwen
Bedenkliche Momentaufnahme: Ein konzeptionell fragwürdiger FC Bayern schuldet sein 4:2 „unerklärlichen“ Schwächen von 1860 ■ Aus München Peter Unfried
Wer war das gleich wieder, der behauptete, zu München im Olympiastadion am Samstag ein „aufregendes“ Spiel gesehen zu haben? Ah, richtig: Otto Rehhagel war's. Hmm, hmm: Der Mann, der „nur Fragen zum Spiel“ beantwortet, hat womöglich nicht auf den Platz geschaut. Dort, nur dort, lag die Wahrheit. Und jene: Erbarmen!
Es ist wahr: Bayern gewann und schoß dabei in Rekordzeit vier Tore. Doch: „Noch dümmer, als wie wir uns angestellt haben“, das sagte der Löwen-Präsident Karl- Heinz Wildmoser matt, „kann man sich gar nicht anstellen.“ Auch wahr, die große Frage aber: Warum kamen die Kicker von 1860 nach erfolgreichen Wochen zum selbstgehypten Spiel der Spiele auf den Rasen – und taten mehrheitlich, als ginge sie das alles nichts an? „Das kann man nicht erklären“, sagte hierzu Werner Lorant, „das ist unbegreiflich.“
Hui, da hat man den Trainer sehen müssen, wie er das Spiel nachspielte und dabei mit den Händen die Luft zerschnitt. „Das einzige Tor, wo die Bayern gut gespielt haben“, sprach er, „war das vierte.“ Das aber fiel bereits nach 24 Minuten, als – Lorant machte es zack- zack vor – Babbel den Ball besorgte, Sforza links Helmer entsandte und Klinsmann am langen Pfosten in aller Ruhe einlochen durfte. Der Rest? „Den Rest“, murrte er, „haben wir selber gemacht.“ Bei Treffer eins (6.) war Klinsmanns Gegenspieler Brajkovic verschollen wie bei Nummer vier übrigens auch. Bei Treffer zwei (9.) unterbrachen Brajkovic und Greilich nach Foul an Scholl die Arbeit, Zickler nutzte abseitsverdächtig den Vorteil. Treffer drei: Heldt zelebrierte im Niemandsland einen Rückzieher, gab aber dann die Weiterverarbeitung des Arbeitsgeräts an den Libero Trares weiter. Der wußte von nichts – Zickler um so mehr.
Es war nicht so, daß die Bayern ein überzeugendes Konzept gehabt hätten, aus dessen Funktionieren eine Logik abzuleiten gewesen wäre. Die einzige Logik des Spiels war die Unlogik, die in dem Konzept der Sechziger lag. „So unkonzentriert“, sagt Lorant, sei sein Team gewesen. Weil er nicht zur Diplomatie neigt, sind die Schuldigen längst aus- und durch Auswechslung öffentlich gemacht: „Ich muß mich“, sagt Lorant, „wieder konzentrieren auf den Verein, wenn ich von der Nationalelf komme.“ Dort waren unter der Woche der Kroate Elvis Brajkovic und der Pole Peter Nowak. Brajkovic mußte bereits zur Halbzeit raus, der Spielmacher Nowak folgte etwas später. Urteil: „Viel gelaufen, wenig rumgekommen“ (Lorant). Tatsächlich war sein Gegenspieler ein Matchwinner und hieß Christian Nerlinger. Punkt für den Wachmann: Während er Klinsmanns 1:0 vorbereitete, war das einzige, was Nowak an diesem Tag zerriß, Nerlingers Trikot.
Erschwerend für die Löwen ist festzustellen, daß der FC Bayern zunächst praktisch zehn gegen elf spielte. Der fehlende Elfte war einer, der, wie selbst der schweigsame Rehhagel feststellen mußte, nichts tun kann, außer versuchen, „mit seiner Routine die Zeit zu überbrücken“. Lothar Matthäus wurde nach Kahns Feldverweis ebenfalls runtergewinkt, und das „war das einzig Richtige“. Sagt Lothar Matthäus. Und diesmal hat er recht.
Eine Marginalie dagegen die Auseinandersetzung der Kontrahenten Kahn (Bayern) und Bodden (1860). „Alle Beteiligten“, sagt hierzu Rehhagel, „müssen die Schuld bei sich selbst suchen.“ Leichte Arbeit für den Keeper Kahn: Wer mit dem Knie in fremdem Unterleib wühlt, muß raus. Schwieriger für den Stürmer Olaf Bodden, der „überhaupt nichts gemacht“ hatte, doch das dafür ziemlich ungeschickt. Wieder fuchtelte Werner Lorant mit den Händen vor, wie man „schon gar nicht“ zugreift. Doch diesmal zerschnitt allein seine Stimme die Luft, als er gefährlich ruhig davon sprach, er müsse vermuten, der Angestellte, wolle „es einfach nicht lernen“.
Nun ja, man ahnt, die nächsten Tage draußen in Giesing werden nicht ganz so angenehm sein. Aber Trost ist da. „Das alles“, sagte Otto Rehhagel, „sind Momentaufnahmen.“ Am Dienstag schon kommt Nottingham Forest. Ob es ihn in irgendeiner Weise kratzt, nach harten Wochen nun plötzlich wieder lässig an der Tabellenspitze zu thronen? Nicht zu eruieren, da Rehhagel nicht über seine Gefühle Auskunft gibt. Nur soviel: „Für die Zuschauer“, sagt er, „ist es sehr schön.“ Ob das stimmt, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Wenn hier Stellung bezogen wird, dann nur zum Spiel: Das Spiel war erbärmlich.
1860 München: Meier - Trares - Greilich, Brajkovic (46. Hamann) - Heldt (46. Dowe), Schwabl, Nowak (73. Borimirow), Jeremies, Cerny - Winkler, Bodden
Zuschauer: 69.000; Tore: 1:0 Klinsmann (7.), 2:0 Zickler (9.), 3:0 Zickler (20.), 4:0 Klinsmann (26.), 4:1 Bodden (33.), 4:2 Winkler (64.)
Rote Karten: Kahn und Bodden wegen grober Unsportlichkeit (43.)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen