: Wo bleibt die Luftsteuer? Von Mathias Bröckers
Früher war vieles einfacher: Diejenigen, die es an den Verkehrswegen auf den Beutel der Reisenden abgesehen hatten, nannte man Wegelagerer oder Strauchdiebe. Wie aber wären diese im Zeitalter des Informations- und Kommunikationsverkehrs zu nennen?
„Datenautobahnlagerer“ klingt komisch, doch der herkömmliche „Gebührenabzocker“ reicht nicht mehr, um die Raffinesse der Beutelschneiderei korrekt auszudrücken. Daß die Volksseele wegen der saftigen Gebührenerhöhung nach wie vor gegen die Telekom kocht, ist da nur zu verständlich – warum der Ärger allerdings allein die Telefongesellschaft trifft und nicht die Regierung, die mit der Privatisierung des Telefonnetzes erst die Voraussetzungen schuf, ist rätselhaft. Der Mythos, daß Telefon- und Datenverkehr überall im westlichen Ausland besser und billiger vonstatten gegangen wäre als im trägen deutschen Fernmeldemonopol, kann es allein nicht gewesen sein – in den USA und England, wo die Telefonnetze seit Jahren privatisiert sind, waren (und sind) die Gebühren im Durchschnitt keineswegs niedriger als bei uns. Wie sollten sie auch, heißt doch „privatisieren“ nichts anderes, als daß statt der öffentlichen nunmehr eine private Hand kassiert, und die hat keinen Grund, bescheiden zu sein. Im Gegenteil.
Warum hat noch kein Politiker vorgeschlagen, die Bürgersteige zu privatisieren? Wenn allgemeine Einrichtungen wie Telefonnetze, Datenautobahnen oder Stromversorgungen verscherbelt werden, warum dann nicht auch Gehwege und Grünanlagen? Lange kann das nicht mehr dauern, denn das öffentliche, volkseigene Tafelsilber schmilzt dahin: die Stadt Berlin beispielsweise, die in fünf Jahren großer Koalition soviel Schulden produziert hat wie 40 Jahre DDR, verhökert jetzt die „Bewag“, den hochprofitablen Elektrizitätsversorger der Hauptstadt. Auch die Bankenmetropole Frankfurt ist pleite und muß ihre Stadtwerke verkaufen – dabei kommt natürlich nicht der kostenträchtige öffentliche Nahverkehr unter den Hammer, sondern nur die einträgliche Strom- und Wasserversorgung. Was ist von einer Firma zu halten, die ihre profitablen Unternehmensteile verkauft und nur die schwergängigen, kostenintensiven Bereiche behält? Welches ökonomische, unternehmerische Kalkül steckt dahinter? Gar keines. Es ist die nackte Not, die akute Liquiditätspanik, die Kommunen, Länder und Staat treibt – um die Totalpleite noch ein Stück hinauszuschieben. „Deregulierung“, „Privatisierung“, „Senkung der Staatsquote“ wird dies von volkswirtschaftlichen Lallbacken vornehm genannt – früher, als vieles noch ein bißchen einfacher war, hätte man es einfach als Ausverkauf von Volkseigentum bezeichnet. Wem sollen die Gehwege, Straßen und Brücken, die Telefon-, Wasser- und Stromversorgung, die Datenautobahnen und Computernetze künftig gehören? Denjenigen, die sie benutzen, oder dem Konzern X und dem Milliardär Y? Was derzeit geschieht, ist nichts anderes als die Institutionalisierung von Wegelagerei und Abzockertum. Wohin die Reise geht, hat Dagobert Duck, der König aller Beutelschneider, längst vorexerziert: Er erhob eine Luftsteuer für das Atomholen mit ausgefuchsten Gebührensätzen: „Jeder Seufzer einen Kreuzer.“ Entenhausen ist bald überall.
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