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Zur Abtreibung nach Rußland

Polens Parlament berät über ein Gesetz zur Liberalisierung der Abtreibung. Denn viele Polinnen reisen zum Abbruch ins Ausland  ■ Aus Warschau Gabriele Lesser

Halina sitzt mit rotgeränderten Augen am Küchentisch. Ungelenk schreibt sie Telephonnummern und Orte aus der Zeitung ab: 53 47 63 Kaliningrad, Rußland, 23 98 47 Minsk, Weißrußland, 32 45 96 Lviv, Ukraine. Auf jedes Blatt notiert sie dieselben Fragen: „Wieviel kostet der Eingriff? Wie lange dauert die Reise? Soll ich etwas mitbringen – Operationsgarn oder Spritzen?“

Halina, Mutter von drei Kindern, ist schwanger. „Das nächste Mal“, hatte der Arzt vor zwei Jahren gesagt, „werden Sie nicht überleben.“ Doch als sie den Arzt letzte Woche fragte, was sie tun solle, zuckte der nur die Schultern: „In Polen ist die Abtreibung verboten. Sie hätten ja verhüten können.“ Für Halina ist die Pille unerschwinglich, pro Monat 30 bis 40 Zloty (16 bis 22 Mark) sind nicht drin. Die Spirale würde rund 100 Mark kosten. Ihr Mann findet: „Das ist deine Sache.“ Und es gibt noch ein Problem: Die Einnahme der Pille müßte Halina jeden Sonntag beichten, die Abtreibung nur einmal. Halina ist knapp über 40 Jahre – sie hat nicht nur Angst vor einer komplizierten Geburt, sie fürchtet auch, ein behindertes Kind zur Welt zu bringen. Theoretisch wäre dies ein Grund für eine medizinische Indikation, doch die Untersuchungen werden auf ein Minimum beschränkt. Die Statistik soll stimmen.

Die Zahlen, die am letzten Freitag im Sejm vorgestellt wurden, sind beeindruckend. Seit Januar 1993, als das restriktive Abtreibungsgesetz in Kraft trat, sind die offiziell durchgeführten Abbrüche um 88 Prozent gesunken. Noch 1990, als der Schwangerschaftsabbruch bereits durch einen Erlaß des Gesundheitsministers erschwert wurde, lag die Zahl bei 60.000, zwei Jahre zuvor hatten noch 105.000 Frauen den Eingriff vornehmen lassen. Die Zahl sank in den folgenden Jahren rapide: 1993 waren es nur noch 777 Frauen, die die Erlaubnis zu einem Schwangerschaftsabbruch erhielten: Sie waren schwer krank, vergewaltigt worden oder hätten ein nicht lebensfähiges Kind ausgetragen. 1994 lag die Zahl mit offiziell 782 Abtreibungen ähnlich niedrig.

Doch trotz dieser „Erfolge“ herrschte am Freitag betretenes Schweigen im Plenarsaal. Auch die Zahl der Geburten sank in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Izabela Jaruga-Nowacka, die für die linke Oppositionspartei „Union der Arbeit“ eine Gesetzesinitiative einbrachte, die auch eine soziale und psychische Indikation vorsieht, nannte die bisherige Praxis „ungerecht, verlogen und kriminalitätsfördernd“. Gerade für arme Frauen sei die Abtreibung immer noch die billigste Methode, sich vor ungewolltem Nachwuchs zu schützen. Und dies, obwohl das Gesetz die Preise für den nun illegalen Abbruch in die Höhe getrieben habe. Polnische Gynäkologen verlangten bis zu 1.500 Zloty (rund 840 Mark) für den Eingriff, russische oder ukrainische nur nur 600 Zloty (rund 340 Mark).

Die Zahl der Abtreibungen sei wahrscheinlich nicht dramatisch gesunken, so Wanda Nowicka. Sie legt seit 1993 jedes Jahr einen Bericht über die Folgen des Abtreibungsgesetzes vor. Vielmehr würden viele Frauen in die Hände von Kurpfuschern getrieben. Wie viele von ihnen dann nie wieder ein Kind bekommen können, weiß niemand. „Die polnischen Frauen“, so Wanda Nowicka, „werden von der Kirche und den meisten Männern wie Wesen behandelt, die unfähig sind, für ihr Handeln auch Verantwortung zu tragen. Das höchste Ziel einer Frau hat die Mutterschaft zu sein. Das Gesetz schützt daher nicht die Frau, sondern nur den Fötus.“

Das Bildungsministerium betreibe eine besonders perfide Politik, so Wanda Nowicka. Laut Abtreibungsgesetz ist es verplichtet, in den Schulen Sexualkundeunterricht einzuführen. Dazu mußten zuerst die Lehrer und Lehrerinnen aufgeklärt werden. Das Ministerium ließ für 500.000 Dollar, die die UNO zur Verfügung stellte, einen Expertenstab zusammentreten. Erstaunliches kam zutage: Die Einnahme der Pille führe zur Impotenz beim Mann. Oder: Frühe sexuelle Erfahrungen hemmten das körperliche Wachstum und die intellektuelle Entwicklung. Insgesamt, so die „Experten“, schütze jede Form der Verhütung nur wie ein löchriger Regenschirm. Diese dubiose Aufklärung hatte Wanda Nowicka im letzten Jahr beanstandet. Geändert hat sich nichts. In zwei Wochen will der Sejm über die Gesetzesinitiative abstimmen. Für Halina ist das zu spät. Sie hat sich für den Abbruch in Kaliningrad entschieden. Morgen wird ein Bus mit ihr und zehn Frauen vom Markt in Olsztyn abfahren. Watte soll sie mitbringen, hatte die Dame am Telephon gesagt, das Geld und Schmerztabletten.

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