Sanssouci: Vorschlag
■ „Grande Petite“ von Sophie Fillières im Original im fsk-Kino
Wie ein Faustschlag trifft einen tosender Verkehrslärm von der Leinwand. Energisch läuft Bénédicte durch die Straßen von Paris, wimmelt einen Verehrer ab, bringt die Kinder einer schicken Bourgeoisen zur Schule. Nach kaum drei Minuten und einer Handvoll Einstellungen ist die Existenz einer jungen Frau umrissen. Und dann plötzlich hinter dieser Mülltonne die Pistole und der Sack voller Geld. Aber statt etwa in die nächsten Galeries Lafayette zu rennen und sich was Nettes zu kaufen, stilisiert Bénédicte den Fund zum sorgfältig gehüteten Geheimnis jenseits jeden materiellen Wertes. Zum Symbol einer Veränderung, die nach Mitteilung schreit, doch von niemandem bemerkt wird.
Verstockt und verletzlich fordert Bénédicte (Judith Godrèche) Verständnis und entfernt sich doch immer weiter von ihrer Umgebung. Sehnsucht nach Komplizenschaft und Nähe, ausgedrückt durch Geheimniskrämerei und Rückzug – wenn Bénédicte ihrer besten Freundin Laurence im Café gegenübersitzt, ist die Spannung zwischen innen und außen fast quälend. „Ein monströser Irrtum läßt die Menschen glauben, daß die Sprache geboren wurde, um ihre wechselseitigen Beziehungen zu vereinfachen“, schrieb Michel Leiris und „Grande Petite“ ist sozusagen die filmische Verlängerung dieser Erkenntnis. Zu allem möglichen mag die Sprache hier dienen, nur nicht zur Konversation, geschweige denn zur Kommunikation. „Ja, ja, nein, nein, doch, doch“, antwortet Bénédictes Mann auf die Frage, ob ihm an ihr etwas auffalle. Selbst spärlichste Dialoge laufen ins Leere, hilflos redet man aneinander vorbei. Worte sperren Gefühle aus, Floskeln verdecken Befindlichkeiten.
Mit statischen Einstellungen erlaubt Sophie Fillères den Personen kein Entkommen, entblößt ihre Unfähigkeit, sich aufeinander zu zubewegen. Zwei Jahre nach seiner Fertigstellung läuft „Grande Petite“ nun dank hartnäckiger Bemühungen der fsk- Crew in der untertitelten Originalfassung am Oranienplatz. Wahrscheinlich die einzige Gelegenheit, diesen in seiner Radikalität doch so lebensnahen Großstadtfilm hier zu sehen. Anfangs mag die Konsequenz der jungen Regisseurin noch auf Distanz halten, vielleicht irritieren. Doch einmal im Rhythmus der Bilder begegnet man einer formalen Strenge, die in ihrer folgerichtigen Sturheit einfach nur begeistern kann. Katja Nicodemus
„Grande Petite“, bis 20.3., 20 Uhr, fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg
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