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Rechentrick für Stuttgarts Bahnhof

Die Deutsche Bahn AG läßt sich für das Prestigeprojekt Stuttgart 21 einen wirtschaftlichen Erfolg errechnen. Die fälligen Milliarden sollen die SteuerzahlerInnen bezahlen  ■ Von Annette Jensen

Bahnchef Heinz Dürr und Verkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) wollen Stuttgart einen supermodernen Durchgangsbahnhof bescheren. Damit die fünf Milliarden Mark Investitionskosten zusammenkommen, rechnen sie das Projekt schön. Offiziell gilt das Projekt Stuttgart 21 als wirtschaftlich. Doch KritikerInnen belegen, daß die SteuerzahlerInnen für das Prestigeprojekt letztendlich einige Milliarden Mark hinlegen werden, ohne daß die Reisenden im Nahverkehr davon profitieren.

2,175 Milliarden Mark wollen die Planer durch den Verkauf von Immobilien in der City der Schwabenhauptstadt zusammenbekommen. Doch im Gesetzestext zur Bahnreform steht eindeutig, daß die Erlöse aus solchen „nichtbahnnotwendigen Grundstücken“ dem Bundeseisenbahnvermögen zufließen. Mit dem Geld will Finanzminister Theo Waigel einen Teil der Bahnaltschulden tilgen und damit letztendlich den Staatshaushalt entlasten. Sein Ministerium fühlte sich gestern nicht zuständig.

„Die Grundstücke werden ja nur dadurch frei, daß die Gleise in Tunnel verlegt werden“, argumentiert der Sprecher des Bonner Verkehrsministeriums, Franz-Josef Schneiders. Insofern seien die gesamten 100 Hektar der DB AG als „bahnnotwendig“ zur Verfügung gestellt worden. Kenner der Materie schätzen allerdings, daß sich auf 60 bis 70 Prozent der Stuttgarter Bahnliegenschaften schon heute weder Stellwerke noch Schienen oder Bahnhöfe befinden. „Zwei Speditionen, ein Recyclinghof – was ist daran betriebsnotwendig?“ fragt Klaus Amler, Sprecher der Bürgerinitiative Umkehr Stuttgart, die sich für ein billiges Alternativkonzept einsetzt.

Aber auch an vielen anderen Stellen wurde Stuttgart 21 offenbar schöngerechnet. Nach einer Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Bahn vom letzten Frühjahr müssen Schienenweginvestitionen nach der Berechnungsmethode des Berliner Wirtschaftsprofessors Horst Albach einen positiven Wert erbringen. „Wenn ein negativer Betrag rauskommt, ist das Projekt volkswirtschaftlicher Unsinn“, erläutert der Wissenschaftler. Tatsächlich kommt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C & L Treuarbeit nach der Albach-Methode zunächst auch zu einem „signifikant hohen negativen Kapitalwert“ für das Bahnprojekt und der baden-württembergischen Hauptstadt. Doch das Büro, das auch die beruhigenden Testate über den Bremer Vulkan geschrieben hat, schlägt für den vorliegenden Fall eine betriebs- statt eine volkswirtschaftliche Berechnungsart vor. Jetzt werden zinslose Darlehen der öffentlichen Hand auf der Nutzenseite einkalkuliert, und auch die Grundstücksverkäufe schlagen positiv zu Buche. Und siehe da: Am Schluß der Alternativrechnung steht doch ein Plus vor dem Ergebnis. Albach hat für den Kriterienwechsel kein Verständnis. Als „absolut verbindlich“ schätzt er seine Kapitalwertrechnung ein. „Wir in der Regierungskommission wollten damit ja gerade den permanenten Griff der Bahn in die Kasse vom Bund verhindern“, sagt er.

Klaus Amler hat noch weitere Ungereimtheiten im Finanzierungsplan für das Fünf-Milliarden- Projekt entdeckt. So kalkuliert die Bahn mit jährlichen Mehreinnahmen von 176 Millionen Mark. Sie begründet diese Hoffnung damit, daß aufgrund von kürzeren Reisezeiten viel mehr Leute einsteigen werden.

Doch die prognostizierte Umsteigezeit von durchschnittlich fünf Minuten ist völlig unrealistisch: Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) hat ausgerechnet, daß die PendlerInnen etwa 13,9 Minuten und die Fernreisenden etwa 18,6 Minuten auf ihren Anschlußzug werden warten müssen. Außerdem hat die Bahn zwar Erlöse durch mehr Züge in ihren Wirtschaftsplan aufgenommen – doch zusätzliche Betriebskosten will sie dafür nicht einkalkulieren.

Am Freitag wird sich der Rechnungsprüfungsausschuß des Bundestags mit den „nichtbahnnotwendigen Grundstücken“ in ganz Deutschland beschäftigen. Erst letzte Woche bezifferte das Verkehrsministerium ihren Wert auf 13,4 Milliarden Mark. Welche Liegenschaften auf der zwischen Bahn und Bund angeblich im Herbst ausgehandelten Liste stehen, ist noch geheim.

Stuttgart jedenfalls ist nicht verzeichnet, versichert der Verkehrsministeriumssprecher.

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