Glasnost der Schwarzkittel

Weg von der Witzfigurenmusik: Deine Lakaien unterlaufen das Regelwerk des Dark Wave. Schwermut muß sein, aber keine suizidalen Gefühle  ■ Von Thomas Winkler

Was sich hier auftut, ruht in sich. Es ist eine Welt, in die der Außenstehende nur schwer Zugang findet. Er klopft an und bekommt ein arrogantes Schulterzucken, bestenfalls ein mitleidiges Lächeln. Wenn er es doch wagt einzutreten, erntet er einen riesenhaften Haufen an Symbolen und Verschlüsselungen.

Von der Gothic-Szene ist die Rede, von ihrer Abgeschlossenheit, die mancher auch schon als Autismus bezeichnete. Wohl kaum eine Jugendbewegung war oder ist so auffällig und gleichzeitig so unsichtbar. Wo zum Teufel treffen die sich? Gehen die überhaupt mal aus? Natürlich, aber wer nicht weiß wohin, wird sie niemals finden. Doch in den letzten Jahren weichen die sorgsam gepflegten Abgrenzungen langsam auf. Project Pitchfork und Das Ich verzeichnen Verkaufszahlen, die sich nicht mehr nur allein aus der schwarzen Szene speisen können. Gleiches gilt für Deine Lakaien, das Duo aus dem Münchner Ernst Horn und Alexander Veljanow aus Berlin.

Veljanow hat selbst schon immer vorgelebt, was langsam nun zur – für manchen Gothic bitteren – Realität wird. „Ein fleißiger Konzertgänger“ war er früher, aufgefallen als einziger Schwarzkittel ist er fast immer. „Das ist heute auch nicht anders“, erzählt er, „ich geh' zu Cassandra Wilson und seh' mir Tricky an, ich lass' mich nicht abschrecken. Wenn etwas gut ist, ist es gut.“ Die selbstzufriedene Isolation der Szene hat ihn zwar immer abgestoßen, „aber ich wollte mich von diesem Stil nicht lösen, auch aus Trotz“. Seine Freunde fand er sowieso meist außerhalb des Zirkels. Gesungen hat er auch in ganz normalen Gitarrenbands wie den verblichenen Run Run Vanguard, die nie mehr als einen lokalen Status erreichen konnten.

Erst dank dieser szeneuntypischen Aufgeschlossenheit konnten Deine Lakaien überhaupt entstehen. Der fünfzehn Jahre ältere Ernst Horn ließ gerade eine recht erfolgreiche Staatstheater-Karriere als Dirigent und Korepetitor hinter sich, als er sich 1985 mit Veljanow zusammentat, der wiederum frisch von der Schule kam. „Ernst war verblüfft und auch ein bißchen verwirrt, weil er die Szene gar nicht kannte. Es war ein großer Gegensatz, aber er hat es als Herausforderung gesehen.“ Daß die beiden prinzipiell „nicht dem entsprachen, was man sich damals unter einem Dark-Wave-Musiker vorstellte“, war auch ein Grund, daß ihre ersten Bemühungen und das Debüt-Album weitgehend ungehört verhallten. Ihre erste Tournee folgte erst fünf Jahre später, der Erstling aber wird inzwischen längst als Klassiker gehandelt.

Erst als Deine Lakaien zur Dokumenta 1992 eingeladen wurden, hatte Veljanow das Gefühl, auch außerhalb der Gruft-Szene wahrgenommen zu werden. „Im Konzert zwei Stunden Nebel, eine dunkle Stimme, da haben viele natürlich gesagt, das ist Witzfigurenmusik“, beschreibt Veljanow eines der Klischees, die er und Horn versuchten aufzubrechen. Anstatt stangenweise Trockeneis einzusetzen, arrangierten sie die Songs für die Bühne um.

Dort übernehmen nun Violine, Gitarre und mittelalterliche Instrumente wie die Drehleier einen Teil der Klänge, die für die Platten ausschließlich im Computer entstehen. Zwar verkabelt Horn auch auf der Bühne teilweise acht verschiedene Synthesizer und seine Computer, aber die Lakaien waren immer in der Lage, eine Live-Atmosphäre zu schaffen, die elektronische Musik sonst oft vermissen läßt. „Es gab auch viele Pannen. Und wenn uns mitten im Song der Computer abgestürzt ist, haben wir schon mal Live-Versionen abgeliefert, die überhaupt nichts mehr mit der Platte zu tun hatten.“

Auch auf der neuesten, „Winter Fish Testosterone“, nimmt sich neben den üblichen, kajalumränderten Elogien ein Song wie „Testosterone“ auffällig aus. „Aggressiv und zynisch“, nannte Horn das schabende Stück Industrial, dem die wissenschaftliche Vermutung zugrunde liegt, daß das Hormon Testosteron, das in Körpern von Männern in zehnmal größerer Konzentration vorkommt als bei Frauen, verantwortlich für Aggressionen ist.

In „Cupid's Disease“ entwickelt eine alte Frau „durch die Erkrankung an Neurosyphilis die Libido einer Achtzehnjährigen“ und hat natürlich die zu erwartenden Probleme, denn „nobody loves you when you're old and hot“. Die Lakaien haben sich hier an einem „Plädoyer für alte Menschen und Sexualität“ versucht. Trotzdem hat Veljanow weiterhin einen Kampf zu führen gegen die Klischees, die an sie herangetragen werden, weil sie nun mal als Gruft-Rocker eingeordnet werden: „Wir greifen natürlich auch solche Situationen auf, in denen jemand am Abgrund steht, aber wir bedienen keine suizidalen Sehnsüchte. Ich habe immer das Gefühl, daß sich trotz der dunklen Gesamtgestaltung durch gewisse Harmonien und Melodien ein Optimismus herausbildet.“

Inzwischen erwähnen selbst die einschlägigen Gruft-Fanzines lobend den Humor der neuen Platte, auf der „viele Lieder den Versuch machen, mit Dark-Wave-typischer Thematik, Hexerei und Mystik und Magie auf eine humorvolle Art und Weise umzugehen“, so Veljanow.

Aber dominierend bleiben auch auf „Winter Fish Testosterone“ die ruhig dahinfließenden Songs, dominiert von Veljanows tiefem Stimmschmelz und den vornehmlich melancholischen Klängen aus der Sound-Bibliothek von Horn. Es ist im Sinne der Erzeuger, es einfach gute Popmusik zu nennen.

Deine Lakaien: „Winter Fish Testosterone“, Gymnastic Records/ EFA

8.3. Lindenpark Potsdam, Stahnsdorfer Straße 76. Und am 2.4. zusammen mit Qntal, dem Mittelalter-Projekt von Ernst Horn, um 20 Uhr im Metropol, Nollendorfplatz