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Rosen, Gift und eingeschlafene Hände

Vor den wichtigsten Feiertagen wird durchgearbeitet, der Export zählt: Dann müssen die kolumbianischen BlumenarbeiterInnen sogar bei den Giftspritzungen in den Gewächshäusern bleiben.  ■ Aus Bogotá Ralf Leonhard

Wenn Hernan Torres auftaucht, ziehen die Frauen die Köpfe ein. Der Oberaufseher in den Gewächshäusern von „Flowers La Vereda“ nahe Bogotá ist dafür berüchtigt, seine Untergebenen öffentlich zu demütigen. Zwei Arbeiterinnen, darunter eine Gewerkschaftsaktivistin, hat er schon dazu gebracht, von sich aus zu kündigen. „Wenn sie entlassen werden, haben sie Anspruch auf Abfindung“, erklärt Carmen Velásquez, die seit achtzehn Jahren in der Blumenproduktion beschäftigt ist, „wenn sie selber kündigen, bekommen sie nichts.“

Jeden Samstagnachmittag füllen sich die staubigen Straßen von El Sosiego mit Frauen und Männern, die mit dicken Blumensträußen nach Hause eilen. Ihre ärmliche Kleidung und die verhärmten Gesichter stehen in seltsamem Kontrast zur Blütenpracht in ihren Händen. Der Wechsel von Hitze und Kälte in den Gewächshäusern, Akkordarbeit und der Kontakt mit giftigen Chemikalien haben sie früh altern lassen.

Am Straßenrand, auf dem Hauptplatz und selbst auf Bussen, die zwischen Bogotá und den Vororten verkehren, geben verschiedene Blumenproduzenten zu verstehen, daß Personal eingestellt wird — ohne Ausbildung und Vorkenntnisse. Der Sosiego-Bezirk der Gemeinde Madrid verdankt seine Entstehung der Ansiedlung Hunderter Arbeiterinnen und Arbeiter aus den Gewächshäusern der Savanne von Bogotá, einem der weltweit größten Zentren der Exportblumenproduktion.

Und die boomt, seit der US- Amerikaner Howard Wells vor fast dreißig Jahren in den Vororten Bogotás die erste Exportblumenfarm gründete. Im Laufe der siebziger Jahre wichen die Rinderfarmen und Weizenfelder nach und nach den Gewächshäusern für Rosen, Nelken und Chrysanthemen. 1975 exportierte Kolumbien noch für 20 Millionen Dollar Schnittblumen, zehn Jahre später waren es bereits 381,9 Millionen, 1994 dann 426,8 Millionen Dollar. Jährlich steigt auch die Anzahl der registrierten Unternehmen. Asocolflores, die größte Vereinigung von Schnittblumenproduzenten, zählt 290 Mitglieder, insgesamt gibt es über 450. Asocolflores schätzt die Anzahl der in der Branche Beschäftigten auf 75.000, davon sechzig Prozent Frauen.

Weitere 50.000 Arbeitsplätze sollen durch die Zulieferbetriebe geschaffen worden sein. In der kolumbianischen Außenhandelsbilanz nimmt der Blumenexport bereits den zweiten Platz unter den nichttraditionellen Ausfuhrprodukten ein. Jeden Tag heben zwanzig mit Rosen, Nelken oder Spinnenastern beladene Flugzeuge Richtung Miami ab.

Vor allem die Branchenneulinge wollen möglichst schnell zu Geld kommen. Ein solider Ruf und zufriedenes Personal haben für sie wenig Gewicht. Der Betrieb Agrodex etwa hat im vergangenen Jahr bis auf drei alle Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen und beschäftigt jetzt nur noch Vertragsarbeiter, die über Zeitarbeitsvermittlungen tageweise oder für ein paar Monate vermittelt werden.

Ausbildung ist nicht gefragt – wichtig ist, daß dem Arbeitgeber keine sozialen Kosten erwachsen. Die Kurzbeschäftigten sind in der Regel weder versichert, noch haben sie bei Beendigung des Dienstverhältnisses Anspruch auf Abfindung. Die Gewerkschaftsaktivistin Yaneth Arriaga, die seit dreiundzwanzig Jahren in Gewächshäusern arbeitet, weiß außerdem aus der Praxis, daß auf diesem Wege die Arbeitsgesetze umgangen werden, die die Beschäftigung von Minderjährigen verbieten oder einschränken. So ist es nicht selten, daß vierzehnjährige Mädchen zu vollen 48-Stunden-Wochen eingesetzt werden.

Ohnehin, meint Yaneth, habe der radikale Abbau fester Arbeitsplätze bei Agrodex nur einen einzigen Zweck gehabt: die Gewerkschaft zu zerschlagen. Die meisten hätten sich gegen die Zahlung einer Abfindung überreden lassen, ihren Vertrag zu kündigen. Ihre Gewerkschaft, die heute der christlich-sozialen CGTD angehört, ist im Jahre 1989 aus dem Dachverband „Vereinigung der Arbeiter von Cundinamarca“ (Utracun) ausgetreten, „wegen der Korruption und weil sie nicht die Interessen der Arbeiter vertrat“.

Gerade dieser Gewerkschaftsverband ist aber bei den meisten Unternehmen wohlgelitten. Utracun-Gewerkschaften dürfen ihre Versammlungen in der Arbeitszeit abhalten, und die Beiträge können automatisch vom Lohn einbehalten werden. Andere Dachverbände, vor allem die kommunistische Fensuagro, aber auch die christlich-soziale CGTD, müssen fast klandestin agieren. „Die Leute kommen zu uns, wenn sie ein Problem haben, das die unternehmerfreundliche Gewerkschaft nicht löst“, erzählt Victor Julio Garzón von Fensuagro.

Sein Verband ist heute nur noch in einer einzigen Blumenfabrik, Flor América, organisiert. Doch betreut er eine Anzahl ehemaliger Blumenarbeiterinnen aus anderen Betrieben, die ihre Entlassung vor dem Arbeitsgericht anfechten. In vielen Fällen ist die Faktenlage so klar, daß der Arbeitgeber zur Wiedereinstellung oder zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt wird. Ein kalkuliertes Risiko, denn meist vergehen bis zum Schuldspruch mehrere Jahre, und nur wenige Geschädigte nehmen das Martyrium der endlosen Amtswege auf sich.

Außerdem kommen Leute, die aufbegehren oder gegen die Unternehmer gerichtlich vorgehen, auf eine schwarze Liste, die unter den Mitgliedern von Asocolflores zirkuliert. Das versichern zumindest mehrere Frauen mit einschlägigen Erfahrungen. Wer auf der Liste steht, bekommt entweder keinen Job oder muß in allen Betrieben mit persönlichen Nachteilen rechnen.

Marlene Hernández Quintana weiß, daß sie auf dieser Liste steht, denn sie hat den Eigentümer der Firma Santa Helena in Madrid vor Gericht geschleppt. Der erklärte im Dezember 1994 den Konkurs, entließ alle Arbeiterinnen und Arbeiter und gründete wenige Monate später drei neue Betriebe. Die Zahlung der Abfindung umging er durch bewußte Irreführung. „Als wir unsere Schecks abholten, legte er uns ein Schriftstück vor, das wir erst später als freiwillige Kündigung erkannten“, berichtet Marlene Hernández.

Nach mehr als elf Jahren harter Arbeit in den Blumenhäusern hat sie mit zahlreichen Gesundheitsschäden zu kämpfen: „Die Hände schlafen mir schnell ein, und der Arzt sagt, mein Blutbild ist nicht in Ordnung.“ Entgegen der strikten Warnung der Chemikalienhersteller mußten die Arbeiter oft im Gewächshaus bleiben, während die Pflanzen mit Herbiziden gespritzt wurden.

Zwar erklärt ein Arzt im Krankenhaus von Madrid, daß die Gesundheitsschäden der Blumenarbeiter auch von den allgemein schlechten hygienischen Bedingungen und der miserablen Trinkwasserqualität in der Savanne herrühren können. Allerdings sind unzählige Fälle von fahrlässigem Umgang mit den Chemikalien in der Blumenproduktion dokumentiert.

Besonders vor dem Valentinstag, dem Muttertag und Weihnachten wird unter extremem Druck gearbeitet. Gerade in diesen Tagen muß oft während der Spritzungen weitergearbeitet werden, die Schutzanzüge sind vielfach defekt, und die Filter der Masken werden nicht häufig genug ausgetauscht. Wegen der Hitze in den Treibhäusern ziehen manche Arbeiter den schweißtreibenden Anzug ohnehin gar nicht erst über.

Kritik an den Arbeitsbedingungen in den Gewächshäusern ist nicht neu. Schon zu Beginn der achtziger Jahre entstand ein Dokumentarfilm über die Blumenarbeiterinnen von Kolumbien, der in Europa reichlich Staub aufwirbelte. Siebzehn Prozent der kolumbianischen Exportblumen werden nach Europa verkauft, und so unternahmen die kolumbianischen Blumenzüchtervereinigungen in den letzten Jahren deutliche Anstrengungen, das Image ihrer Produkte zu verbessern.

Im vergangenen Dezember startete Asocoflores eine Kampagne in den Lokalmedien. „Im Lächeln Ofelias blüht Kolumbien“, versichert eine farbige Anzeige, in der die adrette Blumenarbeiterin Ofelia Salinas ihr perfektes Gebiß zeigt. Es ist darin von Fortbildungskursen für die Arbeiter, einem Hausbauprogramm, Ernährungs- und Erziehungshilfe die Rede – und von einem Beitrag der Blumenzüchtervereinigung zum Ökopark von Madrid.

Doch auf die Einrichtung von Kinderkrippen, die von Asocolflores propagiert wird, warten die kolumbianischen Blumenarbeiterinnen meist vergebens. In der Regel müssen die Frauen, wenn sie keine Verwandten im Hause haben, für die Betreuung der Kinder zahlen. Denn in den kommunalen Kindergärten, die in manchen Gemeinden für die Arbeiterinnen eingerichtet wurden, werden die Kleinen oft schlecht behandelt oder unzureichend ernährt. Vom in den Anzeigen angepriesenen Hausbauprogramm haben die meisten Frauen noch nie gehört, und ökologisches Bewußtsein hat sich in den meisten Betrieben noch nicht durchgesetzt. Bei Madrid etwa werden pestizidverseuchte Blumenabfälle an die Kühe verfüttert.

Immer mehr Arbeiterinnen und Arbeiter klagen über Kopfschmerzen und andere durch die Pflanzengifte provozierte Leiden. Die Standesvereinigung hat jetzt — in Zusammenarbeit mit Ciba-Geigy und anderen Chemiemultis — eine Serie von Materialien herausgegeben, die auf die Gefahren im Umgang mit dem Gift hinweisen. Eine Farce. Arbeiterinnen verschiedener Asocolflores-Mitgliedsbetriebe erklärten auf Anfrage, sie hätten eine 1991 gedruckte Broschüre, die angeblich für die Betroffenen bestimmt war, noch nie gesehen. Zwar würden die Manager und Agronomen zu Seminaren und Schulungen eingeladen, doch an die Arbeiterinnen würden die Erkenntnisse nicht weitergegeben.

Maria Isabel Patiño, die junge und dynamische Managerin von Asocolflores, findet es ungerecht, wenn Kolumbien mit derselben Elle gemessen wird wie europäische Länder. In einem „armen und unterentwickelten Land wie diesem“ könne man von den Unternehmern keine europäischen Standards verlangen. „Wenn ich in der Situation wäre, würde ich mich vielleicht genauso verhalten“, meint sie und gibt zu, daß die Sicherheitsvorschriften in vielen Betrieben nicht eingehalten werden. Sie klagt aber auch die Chemiemultis in Europa an, Produkte, die im Ursprungsland verboten sind, in die Dritte Welt zu exportieren. Hier seien diese Gifte noch gefährlicher, denn „bei euch liest man die Beipackzettel, aber in Kolumbien achtet keiner auf die Warnung vor den Nebenwirkungen“.

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