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Zwischen 200.000 und 400.000 Frauen in Deutschland verdienen ihr Geld auf dem Strich und in Bordellen. Wenn sie krank werden, haben viele Pech gehabt. Huren gehen einem illegalen Gewerbe nach und gelten als Risikogruppe. Jetzt ist das erste

Zwischen 200.000 und 400.000 Frauen in Deutschland verdienen ihr Geld auf dem Strich und in Bordellen. Wenn sie krank werden, haben viele Pech gehabt. Huren gehen einem illegalen Gewerbe nach und gelten als Risikogruppe. Jetzt ist das erste Versicherungspaket für Prostituierte auf dem Markt. Und in Bonn liegt ein Gesetzentwurf zur Anerkennung als Dienstleistung vor.

Hure? Aber sicher!

Sie sah klasse aus. Ihre Freier kamen aus der Hautevolee und blätterten für eine Nacht mit ihr bereitwillig 2.000 Mark hin. Sie trug feinste Pelze und teuersten Schmuck, besaß eine Eigentumswohnung und fuhr ein schnelles Auto. Emilie Maier (Name geändert) war das, was man ein Edelcallgirl nennt.

Die 36jährige starb im vergangenen Dezember an Krebs. In den letzten Monaten ihres Lebens war sie völlig verarmt und hinterließ einen riesigen Berg Schulden. Die Krankenhausrechnungen hatten ihr gesamtes Vermögen aufgefressen. Denn Emilie Maier konnte sich nicht unter ihrer wahren Berufsbezeichnung krankenversichern. Sie mußte den üblichen Trick benutzen, sich bei einem großen deutschen Versicherungsunternehmen als selbständige Kauffrau privat zu versichern. Der Schwindel flog 1994 durch eine Indiskretion des Krankenhauses auf. Das Unternehmen verweigerte Emilie Maier daraufhin jegliche Leistung mit der Begründung, sie habe mit ihren falschen Angaben gegen den Vertrag verstoßen.

Prostituierte zahlen Steuern, doch damit erschöpft sich ihre Gleichstellung mit anderen „Dienstleistenden“ auch schon. Das Gewerbe, dem in Deutschland nach Schätzungen zwischen 200.000 und 400.000 Frauen nachgehen, wird immer noch nicht als Beruf anerkannt. Keine Versicherung war bislang bereit, eine Prostituierte gegen Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und ähnliches zu versichern.

Das soll nun anders werden. In Zusammenarbeit mit der „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Interessen und des Ansehens Prostituierter in der Öffentlichkeit“ hat der in Hamburg ansässige Versicherungsmakler VKS ein Versicherungskonzept für Prostituierte erstellt und mehrere Gesellschaften als Vertragspartner gefunden. Die Kapitallebensversicherung mit Erwerbsunfähigkeitsrente, die Unfall- und die Rentenversicherung für Prostituierte seien „bereits auf dem Markt“, so VKS-Geschäftsführer Carsten Möller. Bei der Krankenversicherung müssen noch einige rechtliche Probleme in bezug auf die Pflegeversicherung geregelt werden. Möller hofft jedoch, auch diese bereits in wenigen Wochen anbieten zu können. Schon jetzt liegen der VKS mehr als 500 Anfragen von Prostituierten vor. Über die Beweggründe der übrigen Unternehmen, mit Prostituierten keine Versicherungen abzuschließen, kann nur spekuliert werden. Für die DKV, Marktführerin der privaten Krankenkassen in Deutschland, erklärt Pressesprecher Bernhard Meiners: „Wir versichern Prostituierte nicht, weil sie wie Hochseilakrobaten und Stuntmen zu einer erhöhten Risikogruppe gehören.“ Das Krankheitsrisiko sei wegen der Aidsgefahr und Drogenabhängigkeit überproportional hoch.

Der Wirtschaftsjournalist Joachim Uppena, der in der Branche lange Zeit für ein Buch über Versicherungen recherchierte, hält allerdings etwas ganz anderes für den wahren Grund: Die Versicherungen hätten Angst vor einem Imageverlust. Prostitution habe immer noch ein „Schmuddelimage“, so Uppena. Dabei gehe es in kaum einem anderen Beruf so „steril und hygienisch“ zu wie im horizontalen Gewerbe.

Illegale Praktiken seien in der Versicherungsbranche jedoch mittlerweilen gang und gäbe, sind sich VKS-Geschäftsführer Möller und der Journalist Uppena einig. Viele Versicherungsvertreter schlössen mit den Huren wissentlich Verträge unter falschen Berufsbezeichnungen ab. Kosmetikerin, Tänzerin oder Hausfrau oder „ganz perfide auch Fleischfachverkäuferin heißt es dann“, weiß Möller. Er kennt mindestens 60 bis 70 Fälle aus den vergangenen Jahren, in denen die Unternehmen die Verträge wegen arglistiger Täuschung kündigten, als die Huren schwer erkrankten.

Wenn die Krankenversicherung auf den Markt kommt, ist ein jahrelanger Kampf der Prostituierten um rechtliche Gleichstellung von einem Teilerfolg gekrönt. Ohne die Unterstützung der Versicherungsexperten Möller und Uppena hätten die Prostituierten-Selbsthilfegruppen wie HWG aus Frankfurt und Madonna aus Bochum das allerdings nicht geschafft.

Inzwischen wurde auch eine „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Interessen und des Ansehens Prostituierter in der Öffentlichkeit“ gegründet, in der neben den Hurengruppen auch Versicherungsfachleute Mitglied sind. Die AG versteht sich als Lobbyorganisation für sämtliche rechtlichen Belange der Frauen und hat noch viel vor. Die VKS hat sich bereit erklärt, beim Abschluß der Versicherungen auf jegliche Provision zu verzichten und den Verband mit einem Prozentsatz aus den Erträgen finanziell zu unterstützen. Plutonia Plarre

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