: Im Visier von Amnesty International
■ Wie Scherf und Borttscheller Bremen zu unangenehmer Weltöffentlichkeit verhelfen
Amnesty International prangert Menschenrechtsverletzungen in Lagos, Shanghai, Panajachel und Surabaya an – und seit einigen Wochen auch in Bremen. Zwei Politiker sind verantwortlich dafür, daß das kleinste Bundesland auf solch unangenehme Art ins Licht der Weltöffentlichkeit gerät: Justizsenator Henning Scherf (SPD) und Innensenator Ralf Borttscheller (CDU).
Amnesty International war im vergangenen Jahr den Vorwürfen des „Antirassismusbüros“ (ARAB) nachgegangen, in Bremen würden schwarze Asylbewerber systematisch mit der Vergabe von Brechmitteln gefoltert. Zu mehreren der vom ARAB auch in einer Broschüre zusammengestellten Einzelfälle hatte die Londoner Zentrale von Amnesty International am 24. August 1995 schriftlich um eine Stellungnahme der zuständigen Bremer Behörden gebeten. Der zuständige Innensenator Ralf Borttscheller werde die Fragen beantworten, antwortete Bürgermeister Scherf kurz darauf. Doch dann kam bis Ende Januar 1996 aus Bremen nur noch Schweigen.
Erst nachdem Amnesty die Bremer Vorwürfe Anfang Februar in seinem Jahresbericht über Verfolgung und Folter in aller Welt veröffentlichte, ist die Bremer Politik wieder aufgewacht. Am 21. Februar ging das Antwortschreiben auf die Anfrage vom August 1995 nach London. Absender: der Bremer Justizsenator, der die Aufgabe im vergangenen September von Innensenator Borttscheller übernommen hatte. „Eine Antwort kann erst jetzt erfolgen, nachdem die Staatsanwaltschaft die wegen der dargestellten Fälle geführten Ermittlungsverfahren eingestellt hat“, heißt es darin zur Begründung der sechsmonatigen Verspätung.
Warum nicht vorher zumindest eine Zwischenauskunft nach London ging, kann Justizstaatsrat Michael Göbel nicht erklären. Stattdessen hat er am 1. März seinerseits Amnesty hart angegriffen. Die am 16. Februar – noch vor der ersten Antwort aus Bremen – von Amnesty gegenüber Bürgermeister Scherf geäußerte Kritik an dem Ermittlungsverfahren gegen zwei Mitarbeiter des ARAB wegen Volksverhetzung sei „ungeheuerlich“ heißt es darin. Schließlich sei die Bundesrepublik ein Rechtsstaat und damit „ausschließlich die Staatsanwaltschaft“ für die Ermittlungen gegen das ARAB zuständig.
„Amnesty sollte“, belehrt Göbel die Londoner Organisation, „sehr genau darauf achten, nicht das wichtigste Kapital zu verspielen, das es besitzt: seine Glaubwürdigkeit.“ Und dazu gehöre vor allem, „nicht Vorwürfe unbesehen zu übernehmen“, sondern sie zuvor mit „eigenen Recherchen“ auf ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen. Wie dies bei einer Landesregierung gehen soll, die Anfragen schlicht unbeantwortet läßt, steht in Göbels Brief allerdings nicht.
Als hätte sich Bremen nicht schon genug blamiert, richtete gestern auch noch Innensenator Ralf Borttscheller schweres Geschütz auf die Londoner Menschenrechtswächter. In einer Kolumne der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ wirft er Amnesty vor, sich mit unberechtigten Vorwürfen in die Schlagzeilen zu bringen. Ihm lägen „Informationen vor, daß Amnesty den Stoff für die Vorwürfe vom Antirassismusbüro bezogen hat“, so Borttscheller in einer gestern parallel veröffentlichten Presseerklärung. Wer sich „so von linksextremen Gruppen instrumentalisieren läßt, der ist nahe daran, seinen Ruf zu ruinieren.“ Dabei hat Amnesty bisher nichts anderers getan, als die zuständigen staatlichen Stellen höflich um Aufklärung über die in Bremen im vergangenen Jahr breit diskutierten Vorwürfe der Folter im Polizeigewahrsam zu bitten.
Ase
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