Eine Kampfreserve ohne Partei

Die FDJ feierte dieser Tage ihren fünfzigsten Geburtstag, als „Verband eines annektierten Landes“. Die allmächtige Jugendorganisation der SED ist mittlerweile zu einem kleinen Haufen Sektierer zusammengeschmolzen  ■ Von Kathi Seefeld

„Zurück in die Zukunft. Raus aus der BRD!“ Das Ganze unterlegt mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz – so wirbt die Freie Deutsche Jugend (FDJ) gegenwärtig in Berlin. „Dank Euch, Ihr Sowjetsoldaten!“ heißt eine Losung des Bundesvorstands, hervorgekramt, um den fünfzigsten Jahrestag zu würdigen. Die 23jährige Andrea Grimm, seit einem Jahr FDJ-Chefin, Mathias Rudolph, ihr 30jähriger Stellvertreter, und Vorstandsmitglied Martina Holzinger, mit 33 Jahren nach eigenen Angaben älteste FDJlerin im Lande, können zufrieden sein: Die „gleichgeschaltete Presse in der BRD“ hat zur Kenntnis genommen, daß am 7. März 1946 der Lizenzierung der Freien Deutschen Jugend durch die Sowjetische Militäradministration in Deutschland zugestimmt worden war.

Dem Verband gehörten ursprünglich auch Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterjugend und des Katholischen Jugendbundes an, er galt als „überparteiliche, einige und unabhängige Jugendorganisation“. Spätestens ab 1949 erinnerte an diesen Vorsatz nur noch wenig. Die FDJ formulierte in einer neuen Verfassung ihren Alleinvertretungsanspruch, lehnte die Spaltung der Jugend in parteipolitische, konfessionelle und andere Jugendorganisationen ab. Für den Mannheimer Geschichtsforscher Ulrich Mählert war die FDJ drei Jahre nach ihrer Gründung „organisatorisch und programmatisch auf die Aufgaben vorbereitet, die sie als Massenorganisation der SED in den kommenden Jahrzehnten übernehmen sollte“. 1989 gehörten in der DDR zur „Kampfreserve der Partei“ etwa zwei Millionen FDJlerInnen. Wohl keiner, der nicht erfahren hatte, daß an den FDJ-Geburtstagen nicht nur „von Jugendbrigaden aus allen Teilen der Republik in Berlin errichtete Wohnungen“ übergeben oder inflationär Artur-Becker- Medaillen in Bronze, Silber und Gold verliehen wurden. Geschlossen und meist automatisch traten regelmäßig am 7. März Klassenkollektive von 14jährigen in die einzige zugelassene Jugendorganisation ein. Bis auf die Tochter des Pfarrers vielleicht, doch da Mitgliedschaft in der FDJ zu Beginn der achtziger Jahre ohnehin kaum noch etwas über die politische Orientierung aussagte, zogen auch Pfarrerstöchter der Einfachheit halber nicht selten das Blauhemd über.

Mit dem Ausziehen desselben waren das ganz andere Geschichten. Prüde, heißt es, sei es auf den Pfingsttreffen der FDJ zu keiner Zeit zugegangen. Lagerfeuerromantik, Kulturerlebnisse, Jugendarbeit im einfachsten Sinne, fernab von politischen Schulungen und propagandistischen Großaufmärschen – hier sprudelt gegenwärtig eine der ostalgischen Quellen in Sachen FDJ.

Martina Holzinger und Co glauben im freundlichen „Was denn, es gibt euch noch?“ allerdings andere Signale zu erkennen. „Ein Großteil der Menschen möchte wieder so wie früher leben. Bei allen Fehlern hatte der Staat erhebliche Vorteile gegenüber der BRD.“ Woraus sie ihre Überzeugung schöpfen und was sie als Fehler betrachten, vermochte das Vorstandstrio nicht zu vermitteln. „Die FDJ hätte keine Parteijugendorgansisation sein dürfen, um die Einheit der Jugend zu verwirklichen“, schätzte Mathias Rudolph lediglich ein. Zeit zur tieferen Aufarbeitung der Geschichte sei angesichts der gegenwärtig anstehenden Aufgaben ohnehin nicht.

Welche Herausforderungen der FDJ harren, beschreibt die Führungstroika im pünktlich zum 50. Gründungsjubiläum erschienenen Buch „Unser Zeichen war die Sonne“, herausgegeben vom PDS- Ehrenvorsitzenden Hans Modrow im Verlag Neues Leben. „Wir wollen erreichen, daß immer weniger dem Kriegskurs folgen“, heißt es dort unter anderem. Über ein FDJ- Sommercamp mit 43 TeilnehmerInnen wird konstatiert, daß man nicht nur gegen Faschismus, Krieg und Kapital kämpfe, sondern daß man „in einem Verband eines annektierten Landes organisiert“ sei, „der – bisher allen Treuhandbemühungen zum Trotz – einer Euthanasie, die alles, was ein Stück DDR war, versucht zu vernichten, entgehen konnte“.

Nicht nur angesichts solcher Wortwahl gruselt es den Brandenburger Landtagsabgeordneten Stefan Ludwig, wenn er auf den FDJ-Bundesvorstand blickt. Der Abgeordnete der PDS/Linke Liste nennt sich ebenfalls FDJ-Mitglied. Er gehört jedoch der „fdj Brandenburg e.V.“ an, was ein himmelweiter Unterschied sei. „Es gibt zwischen beiden einen unüberwindbaren Dissens, die politische Tätigkeit und die Gewichtung zur Jugendarbeit betreffend“, betonte der 28jährige. Aus vielen Gründen, so Ludwig, mußte die FDJ mit der Infragestellung der DDR 1989/90 ebenfalls in Frage gestellt werden. Mit den Antworten der nach der Wende geschrumpften FDJ haben sich die BrandenburgerInnen allerdings nicht anfreunden können. Ende 91 gründeten sie deshalb die eigenständige „freie deutsche jugend Brandenburg e.V.“. Daß man am Namen der DDR-Jugendorganisation festhalte, begründet der Abgeordnete mit den eigentlichen Gründungszielen der FDJ. Die fdj Brandenburg e.V. erhält wie andere Jugendverbände des Landes auch Fördermittel, ist keine Rechtsnachfolgerin der FDJ in der DDR und leistet mit etwa 50 Mitgliedern Jugend- und Jugendbildungsarbeit. Im Gegensatz zu den Brandenburgern versteht sich der FDJ- Bundesverband als Nachfolger der Vorwende-FDJ. Ein Fakt, der ihn laut Treuhandnachfolgerin BvS verpflichte, auch die Bruttoentgeltbescheinigungen für alle etwa 70.000 ehemaligen Mitarbeiter der FDJ zu erstellen bzw. die Kosten für die Erstellung zu tragen: eine Summe von immerhin 3,5 bis 4 Millionen Mark. Zu holen wären bei der FDJ allerdings gerade mal der Anrufbeantworter und ein Briefkasten im Berliner Karl-Liebknecht-Haus.

Die in Starnberg bei München geborene Martina Holzinger ist „extra wegen der FDJ nach Berlin gezogen“. Sie gehört zudem zum „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“. Die Politsekte, die FDJ-Sympathisanten aus den neuen Bundesländern vollkommen unbekannt ist, engagierte sich seit mehr als zwei Jahrzehnten vor allem in Bayern auch gegen das Verbot der FDJ in Westdeutschland. Eingedenk der dortigen Erfahrungen mache man, so Martina Holzinger, keine Aussagen zu Mitgliederzahlen oder zur Struktur des Verbandes. Letzte Angaben aus dem Jahre 92 gehen von 850 eingeschriebenen FDJlerInnen aus.