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Landschaften entdecken ihren Greuel

■ Die Ausstellung „Kunststreifzüge“ präsentiert vom NDR porträtierte Hamburger Künstler

„Ohne Besen verfliegt der Staub nicht von allein“ wird auf einer Reispapierzeichnung Mao zitiert und damit evoziert: Soll nicht auch Kunst zum Besen gegen den Staub auf eingefahrenen Gedankenwegen werden? Die Kunststreifzüge machen erneut dieses Angebot. Zu der vom NDR ausgestrahlte Porträtreihe Hamburger Künstler, die circa 250.000 Zuschauer erreicht, wird seit 1995 eine begleitende Ausstellung veranstaltet. Jetzt läuft im Kunsthaus der zweite Teil der Präsentation 1996 mit sieben sehr unterschiedlichen Künstlern.

Etwas aus der Zeit gefallen betrachten fünf deformierte, bemooste Köpfe auf hohen Säulen die Welt: Sie scheinen weder zu wissen, aus welchem Material sie sind, noch wer sie einst waren und worauf sie nun verweisen. Verena Vernunft hat sie gebaut. Von der feinteiligen Landschaftszeichnung kommend ging sie dazu über, Teile der Landschaft aus Papier nachzuschöpfen.

Direkter scheint die Land-schaftsmalerei von Ralf Jurszo, doch sie ist von hintergründiger Boshaftigkeit. Denn dort entdeckt der schöne deutsche Wald sanft seine Greuel: von den Germanenschlächtereien zur Wehrsportgruppe, von den Wandervögeln zum Waldschadensbericht. Und der scheinbar so unzeitgemäße Landschaftsmaler wird zum aktuellen Mahner in einem Land, in dem das Wort „Buchenwald“ zugleich einen biologischen, ästhetischen und mörderischen Klang hat.

Hilmar Liptow demonstriert die wandelbare Geschichte der Erinnerungen an Originalmaterialien. Liptow organisiert „Materialbiographien“, hier in acht Vitrinen Das Geheimnis der Eltern. Individuelle Erinnerung wird zum gesellschaftlichen Modell und öffnet sich möglichen Geschichten.

Die durch Kunst bezeichnete Welt ist immer schon voll. Spiegeln und aneignen, umbauen statt neubauen, ist die Reaktion von Annette Venebrügge. Überraschungen können nur noch Kombinationen bieten. In der Arbeit „Breites Wolkenband“ spießt sie die ihr zugeflatterten Postkarten wie individuelle Exemplare einer längst bekannten Schmetterlingspopulation auf und reiht sie zu einem Sammlungshorizont, über dem gewitterwolkengleich die Rollen zeichnerischer Welterfahrung schweben.

Nach Verschiedenheit ausgewählt, muß die Ausstellung extreme Ansätze integrieren. Da gibt es spontane, energiereiche Malerei wie die von Karin Witte, aber auch traditionelle, jahrtausendealte Formen sind noch nicht erschöpft. Die aus Peking stammende Ying Liang nimmt das dortige akademische, ritualisierte Kopieren, um in Hamburg damit den Alltag zu erfassen, ironisch und mit einer Prise Erotik.

Zur direkten Benutzung bietet Arthur Schmidt seine Kunst an. In seine Digital-World kann man eintreten und durch Tanz malen: In der Installation „GVOON“ beeinflußt das eigene Verhalten das Bild. Dabei ist diese auf Kooperation angewiesene Maschinerie mehr als technische Spielerei. Gerade daß auch viele andere an solchen Apparaturen bauen, zeigt, wie stark die Sehnsucht nach einem elektronisch wiedereroberten Zustand ist, in dem das Zaubern noch geholfen hat. Hajo Schiff

Kunsthaus BBK, Klosterwall 15, bis 8. April; Katalog im Verlag Dölling und Galitz; Sendungen: N3, jeweils So, 8.15 und 16.45 Uhr

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