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Korsischer Druck auf Pariser Presse

■ Auch nach dem Attentat auf „Libération“-Reporter setzt die französische Regierung auf Dialog mit bewaffneter Gruppe

Paris (taz) – Journalisten, Politiker und Menschenrechtler verurteilten gestern in seltener Einigkeit die Schüsse auf das Haus des Korsika-Experten von Libération – sie sprachen von einem „Maulkorb“, von einer „Drohung für alle Journalisten“ und von einem Angreiff auf die Meinungsfreiheit, wie er in Frankreich seit dem Algerienkrieg nicht mehr vorgekommen sei. Nur Innenminister Jean-Louis Debré ignorierte das Attentat. in einem langen Interview mit dem Boulevardblatt Le Parisien sagte er zum Thema Korsika lediglich: „Wir wollen den Dialog fortsetzen.“

Der Angriff auf das Haus des Journalisten Guy Benhamou in der Pariser Vorstadt geschah am vergangenen Freitag. Nachdem sie die Fassade in Abwesenheit des Journalisten vielfach durchlöchert hatten, hinterließen der oder die Schützen ihre Waffe – eine israelische Uzi – im Vorgarten und flohen auf einem Motorrad. Die Verantwortung für das Attentat übernahm bis gestern niemand. Doch der Verdacht der Libération-Redaktion war umgehend auf die militante, korsisch-nationalistische Organisation „FLNC-Canal historique“ gefallen, aus deren Reihen Benhamou in der Vergangenheit bereits mehrfach bedroht worden war. Sollte die – bislang nicht dementierte – Anschuldigung zutreffen, wäre es eine Ausdehnung des bewaffneten Kampfes korsischer Nationalisten auf das französische Festland. Eine neue Qualität in dem über zwei Jahrzehnte währenden Konflikt. Benhamou hatte in den vergangenen Monaten ausführlich über die Zuspitzung der blutigen Auseinandersetzung zwischen korsischen Nationalisten der verschiedenen bewaffneten Bewegungen geschrieben, auch über die jüngste Annäherung zwischen der französischen Regierung und dem „FLNC-Canal historique“. Unter anderem berichtete er über die martialische Pressekonferenz, die der „FLNC-Canal historique“ in der Nach des 11. Januar auf Korsika veranstaltet hat. 600 vermummte und schwerbewaffnete Kämpfer der Organisation hatten eine große Gruppe von Journalisten unter freiem Himmel empfangen, um ihnen den Beginn eines „Waffenstillstandes“ zu verkünden.

Tags darauf kam Innenminister Debré zu seinem Antrittsbesuch auf die Insel, wo er auch Gespräche mit Mitgliedern des „legalen Arms“ des „FLNC-Canal historique“ führte, die unter der Bezeichnung „Corsica Nazione“ im Regionalparlament sitzen. Juristische Konsequenzen hatte die nächtliche Waffenschau nicht.

Die „Regierung verhandelt mit den Klandestinen“, und „Debré stärkt den Canal historique“, kritisierte Benhamou in den vergangenen Wochen. Dabei zitierte er zahlreiche Korsen, die den Dialog zwischen der stärksten illegalen Gruppe und den Unterhändlern von Debré heftig kritisieren. Benhamou veröffentlichte auch die Kritik der korsischen Richter, die sich bei der Bekämpfung des nationalistischen Terrors von Paris allein gelassen fühlen. Statt der von ihnen gewünschten „Härte“ empfahl das Justizministerium ihnen „Vorsicht“, wann immer sie mit nationalistischen Gewalttätern zu tun hätten.

Die französischen Medien reagierten eindeutig auf das Attentat auf ihren Kollegen. „Wenn man Verwirrung stiften will, muß man der Information einen Maulkorb anlegen“, erklärte der Journalist Albert du Roy. Und die Zeitung Le Monde sprach von einer „Botschaft an alle Medien“ und kritisierte das „nicht zu rechtfertigende Schweigen“ des Innenministeriums. Die Organisation „Reporters sans frontières“ („Reporter ohne Grenzen“) vergleicht den „Einschüchterungsversuch“ mit Angriffen auf Journalisten in Algerien und anderen Ländern. Und die Journalistengewerkschaft „SNJ“ verlangt vom Innen- und Justizminsterium „Garantien für die Pressefreiheit“.

Aus dem Umfeld der Hauptverdächtigen kamen gestern vieldeutige Erklärungen. Der Präsident von „Corsica Nazione“ im Regionalparlament, der Anwalt Jean- Guy Talamoni, verurteilte das Attentat und nannte es eine „Provokation“. In selben Atemzug bescheinigte er Benhamou, daß er ein „schlechter Journalist“ sei und betonte, daß die korsischen Nationalisten es sich nicht gefallen lassen würden, „von den Medien beschmutzt“ zu werden. Ein Journalist aus dem Umfeld der nationalistischen Organisation ergänzte, daß es nicht zu den Traditionen des „FLNC-Canal historique“ gehöre, die Waffe am Tatort zurückzulassen. Dorothea Hahn

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