: "Schwächen im Kaufmännischen"
■ Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den umstrittenen SPD-Bundestagsabgeordneten Kurt Neumann wegen Untreue zu 46.200 Mark Geldstrafe. Weiteres Verfahren wegen Steuerhinterziehung anhängig
Die ältere Dame im Gerichtsflur ist ehrlich empört, Tränen steigen ihr in die Augen. Es sei ja so „gemein, so hinterfotzig“, wie die Presse mit Kurt Neumann umspringe. Zwanzig Minuten später verkündet die Richterin am Amtsgericht Tiergarten das Strafmaß: Wegen Veruntreuung von Mandantengeldern verurteilt sie den 50jährigen Rechtsanwalt und SPD-Bundestagsabgeordneten zu einer Geldstrafe von 46.200 Mark. Das Gericht sah es als erwiesen an, daß Neumann rund 1.700 Mark, die er in Rechtsverfahren für einen befreundeten Arzt und eine Autowerkstatt erstritten hatte, nicht weitergeleitet, sondern mit seinen Kanzleikosten verrechnet hatte.
Die Strafe findet der Abgeordnete Neumann zutiefst ungerecht. Kaum hat er den Saal 571 verlassen, kündigt er vor laufender Kamera an, er werde Berufung einlegen. Im Prozeß hatte Neumann sich selbst bescheinigt, ein „relativ guter“ und „sozial engagierter“ Anwalt zu sein, der allerdings „Schwächen im Kaufmännischen“ habe. So landeten bei ihm, wie er zugab, schon mal Akten unter falschen Nummern. Penibel listet er auf, welche Leistungen er für die Autowerkstatt und den befreundeten Arzt erbracht hatte. Sein Fehler sei allerdings gewesen, dafür keine Rechnungen ausgestellt zu haben. So habe er letzlich durch seine „eigene Dummheit“ rund 2.600 Mark an die beiden Betroffenen verschenkt. „Ich hätte mich mehr kümmern, mehr beschränken müssen“, räumte Neumann ein, der sich selbst verteidigte. Auch habe er durch gesundheitliche Probleme seine Geschäfte als Anwalt vernachlässigt.
Neumanns gestriger Auftritt vor Gericht dürfte nicht sein letzter gewesen sein. Ein weiteres Verfahren wegen Steuerhinterziehung ist anhängig, die Aufhebung seiner Immunität als Bundestagsabgeordneter wurde von der Staatsanwaltschaft bereits beantragt. Daß Neumann bereits in der Vergangenheit Schwierigkeiten in der Ausübung seines Berufs hatte, ist bekannt: Im Bundeszentralregister sind zwei Verfahren wegen fortgesetzter Steuerhinterziehung sowie ein weiteres wegen nicht gezahlter Sozialabgaben vermerkt.
Jüngst verurteilte ihn auch das Ehrengericht der Berliner Anwaltschaft wegen Standesvergehen zu einer Geldbuße von 25.000 Mark. Glück im Unglück hatte Neumann, der Mitte der siebziger Jahre dem marxistischen Flügel in der SPD angehörte, mit seiner eigenen Partei: Das Landesschiedsgericht hob ein im Oktober 1995 von der Kreiskommission beschlossenes Ausschlußverfahren gegen ihn auf. Mitglied darf er zwar bleiben, seine Rechte aber sollen drei Jahre lang ruhen. Severin Weiland
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