■ Mit etwas Glück juckt's ganz doll. Die Deutschsyrerin Mona Naggar beschreibt, wie das ist, wenn muslimische Frauen sich liebend umarmen: nämlich ...: ...wie das Reiben von Safran
„Wärme strömte über meinen Hals aus und tauchte in meinen Körper hinab. Während ich alles andere ausschaltete, dachte ich: „Nur küßt mich“ und hatte nicht wie im normalen Leben einen Kuß zwischen einem Mann und einer Frau im Sinn, sondern einfach Nur. Jede Stelle meines Körpers, die Nur berührte, entflammte und blieb in einem Zustand der Erregung.“
In ihrem Roman „Musk al-Ghazal“ erzählt die libanesische Schriftstellerin Hanan al-Shaykh den Beginn einer Liebe zwischen zwei Frauen. Es ist die Geschichte der Libanesin Suha und der Araberin Nur im frauenfeindlichen Saudi-Arabien von heute. Die Erzählung von Hanan al-Shaykh hat so manches Kopfschütteln unter ihren arabischen Lesern und Leserinnen ausgelöst. Die Schriftstellerin imitiere westliche Frauenliteratur und wolle damit ihre Chancen erhöhen, in westliche Sprachen übersetzt zu werden, sagen die einen. Andere sehen darin nur einen weiteren Beweis für die Dekadenz des saudiarabischen Königreiches.
Was auch immer Hanan al-Shaykh mit der provokativen Schilderung der sexuellen Beziehung zwischen zwei arabischen und muslimischen Frauen verfolgt haben mag – sie betritt damit kein Neuland. Die lesbische Liebe, die sogenannte sihaq, hat in den islamischen Ländern eine lange, aber weitgehend noch unbekannte Tradition.
Bereits im 1. Jahrhundert nach der Gründung des ersten islamischen Staates durch den Propheten Muhammad in Medina hat es in dieser Stadt und im heiligen Mekka Frauen gegeben, die Frauen liebten. Die arabischen Historiker wissen sogar von der ersten lesbischen Beziehung zwischen zwei arabischen Frauen zu berichten. Die beiden Frauen sollen in vorislamischer Zeit in den Palästen der arabischen Dynastie der Lakhmiden im südlichen Irak gelebt haben. Hind, eine Tochter der Königsfamilie, verliebte sich in die für ihre scharfen Augen berühmte Zarga al-Yamama. Ob dieser Liebesgeschichte eine historische Wahrheit zugrunde liegt, läßt sich nicht sagen. Doch die Namen der Liebenden haben sich über die Jahrhunderte erhalten.
Sie gehören zu den zwölf Frauenpaaren, die der mittelalterliche Bibliograph Ibn al-Nadim unter der Rubrik „Radikale Liebende“ aufzählt. Trotz ihrer Erwähnung in einem der wichtigsten Nachschlagewerke des islamischen Mittelalters ist keines dieser Liebespaare heute wirklich noch bekannt.
Es liegt nicht nur an der bedauernswerten Tatsache, daß keines dieser Bücher erhalten ist, oder an der Prüderie der heutigen Muslime. Obwohl lesbische Beziehungen nach Ansicht des französischen Orientalisten Charles Pellat im islamischen Mittelalter ebenso häufig vorkamen wie sexuelle Beziehungen zwischen Männern, führte die lesbische Liebe in der Literatur dieser Zeit ein Schattendasein. Dies überrascht, wenn man bedenkt, daß Schriftsteller an anderer Stelle keine Scheu zeigten, die verschiedenen Stellungen beim Geschlechtsverkehr ausführlichst zu schildern. Sie schrieben über die Vorzüge von Huren oder widmeten mehrere Kapitel der besonders in oberen Schichten verbreiteten Knabenliebe.
Am Hof der Abbasiden in Bagdad weiß al-Isfahani in seinem Buch der Lieder von einer Sängerin zu berichten, die vor dem Kalifen ein Lied zum Lob der lesbischen Liebe mit dem Vers anstimmte: „Nichts ist schöner als Sihaq“, worauf der Kalif antwortete: „Doch der Liebesakt zwischen Mann und Frau.“
Eine Gruppe von Frauen soll sogar in der damaligen Hauptstadt des islamischen Reiches zur lesbischen Liebe aufgerufen haben, was nicht nur Sklavinnen befolgten, sondern auch gutsituierte Ehefrauen Bagdader Bürger, wie etwa die Gattin des Postvorstehers zur Zeit des Kalifen al-Mutawakkil im 9. Jahrhundert. Ihre Liebesbeziehung zu einer Frau wurde stadtbekannt wegen eines in aller Öffentlichkeit ausgetragenen Disputs mit der Geliebten. Ärzte und Weise nahmen sich des Phänomens des sihaq an und sahen es als angeborene Andersartigkeit an.
Zur selben Zeit erklärte der Philosoph al-Kindi die Lust von Frauen auf Frauen mit einer natürlichen Begierde, die ein starkes Jucken und ein Wärmegefühl in den Geschlechtsteilen hervorruft. Nur das Reiben an der Vagina einer anderen Frau könne dies beheben. Aus diesem Grund vergleicht er den Liebesakt zwischen Frauen mit dem Reiben von Safran, der auf einer vaginaähnlichen kleinen Platte zu Puder zerrieben wird. Nicht nur die reine Lust bewog Frauen, mit ihren Geschlechtsgenossinnen Sex zu haben. Keine Angst haben zu müssen, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren oder schwanger zu werden, geben Frauen in überlieferten Aussagen aus Medina als Grund an.
Weitere Hinweise auf die Verbreitung gleichgeschlechtlicher Liebesbeziehungen finden sich in Berichten über das gesellige Beisammensein in den Badehäusern, einem vor allem in orientalischen Großstädten des Mittelalters beliebten Ort beider Geschlechter. An diesem Ort der Intimität verbrachten Frauen in Gesellschaft von Freundinnen viele Stunden, pflegten ihren Körper, verspeisten gemeinsam die mitgebrachten Köstlichkeiten und arrangierten Hochzeiten.
In vielen Bädern hielten sich die Frauen nicht an die Vorschrift, wonach Frauen auch voreinander ihre Schamteile bedeckt halten müssen. Der Rechtsgelehrte Ibn al-Hadj berichtet über die weibliche Klientel der öffentlichen Bäder in Ägypten und Marokko des 14. Jahrhunderts, die sich mit entblößter Scham zeigten, und „geschieht es, daß eine Frau ihre Scham bedeckt vom Nabel bis zu den Knien, dann schelten die anderen Frauen sie aus und lassen sie böse Worte hören, bis sie die Bedeckung wegnimmt“.
Dieser für Männer verbotene Raum sorgte für die schlimmsten Verdächtigungen, so daß schon Ibn al-Hadj den Ehemännern riet, ihren Frauen den Badbesuch zu verbieten, „wegen der Verderbtheiten in religiösen Dingen und wegen der schlechten Sitten, die dort heutzutage anzutreffen sind“.
Was haben aber die islamischen Rechtsschriften zum sihaq zu sagen, jene Bibliotheken füllenden Werke, die auf der Basis von Koran und prophetischer Tradition das Erlaubte und Verbotene im Alltag bis ins allerkleinste Detail regeln? Zunächst: Lesben werden nur ganz am Rande erwähnt. Die Bücher konzentrieren sich auf die Liebe unter Männern, die sie ablehnen, weil die Männer deshalb ihre Frauen vernachlässigten. Gott verurteilt dieses Tun im Koran auf das heftigste. Die meisten Gelehrten empfinden sexuellen Kontakt zwischen Männern als Unzucht, der eine schwere, im Koran festgelegte Strafe nach sich zieht: Steinigung bei Verheirateten und Auspeitschen bei Ledigen.
Frauen müssen sich von alldem nicht angesprochen fühlen. Zwar gilt es auch als Unzucht, wenn sich Frauen mit Frauen abgeben, aber eine schwere Strafe bleibt aus. Der kleine Unterschied macht es möglich. Denn jemand gilt nur der Unzucht überführt, wenn eine Penetration stattgefunden hat. Frauen wissen dies zu nutzen: Zu den von ihnen genannten Gründen, lesbische Beziehungen einzugehen, zählt das Fehlen von den im Koran festgelegten Strafen. Der tunesische Soziologe Bonhohiba stellt fest, daß liwat – der arabische Ausdruck für Liebe unter Männern – in den arabisch-islamischen Gesellschaften als die Perversion schlechthin galt. Auch die lesbische Liebe wurde verurteilt, aber sie wurde doch eher mit Nachsicht behandelt.
Was ist der Grund für diese Nachsicht? Die islamischen Rechtsgelehrten haben sich nie auf den Koran beschränkt, wenn es darum ging, Verbote und Reglementierungen für Frauen aufzustellen. Vielleicht ist die Erklärung eher in einer stillen Übereinkunft einer Gesellschaft zu finden, die auf einem ausgeklügelten System von Geschlechtertrennung basiert. Diese Gesellschaft weiß, daß ihr System nur weiterexistieren kann, wenn sie Homosexualität in Kauf nimmt.
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