: Nichts gewußt, nur verschickt
■ Volksverhetzung: Berufungsverfahren gegen Rechts-Duo Siegerist und Hempen verschoben, weil Anwältin Mandat niederlegte Von Ulrike Winkelmann
„Zigeuner“ sind „durchweg ein kriminelles Pack“, das sich „bei uns aufführt wie von Nazis verfolgte Juden“. Wegen dieser und anderer rassistischer Auswüchse sind Werner-Joachim Siegerist, geschäftsführender Vorsitzender der „Deutschen Konservativen“, und Uwe Hempen, Geschäftsführer des Vereins, vor zwei Jahren verurteilt worden. Die beide Seiten hatten Rechtsmittel eingelegt. Doch das Berufungsverfahren begann gestern mit einer Überraschung: Hempens Anwältin Leonore Gottschalk-Solger hatte am Abend zuvor ihr Mandat niedergelegt. Richterin Barbara Salesch verkündete, daß die Verhandlung kommenden Mittwoch fortgeführt werde – bis dahin solle Hempen sich eine neue Verteidigung organisiert haben.
Die Vorwürfe, Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß, basieren auf zwei Vereins-Rundbriefen, die 17.000fach verschickt wurden. Und auf diesem Wege über 85.000 Mark Spenden eingeworben haben. Im April 1994 war Siegerist deshalb zu eineinhalb Jahren ohne, Hempen zu acht Monaten mit Bewährung verurteilt worden.
Gestern verlas Hempen eine Erklärung, in der er sich als „weitgehend unpolitischer Mensch“ bezeichnete. Er habe vom Inhalt der Rundbriefe nichts gewußt. In seiner beruflichen Laufbahn als Fotograf habe er „niemals Unterschiede zwischen weißen und farbigen Kindern gemacht“. „Ich habe kein schlechtes Gewissen“, sagte Gottschalk-Solger nachher zur taz – es seien in der Nacht zuvor „derartig schwerwiegende Widersprüche mit meinem Mandanten aufgetaucht“, daß sie eine weitere Verteidigung nicht mit ihren „persönlichen Vorstellungen“ habe vereinbaren können.
Siegerist legte nach dem Verfahren vor laufenden Kameras noch einmal sein Selbstverständnis dar: „Christlich-sozial-konservativ“ sei er und nicht rechtsradikal – diesen Begriff habe die Öffentlichkeit „von der Stasi übernommen“. Die Hamburger Verteidiger hätten Angst, sich solcher Fälle anzunehmen, weil sie fürchten müßten, so Siegerist, sowohl von Mandanten „in die rechte Ecke gestellt“ zu werden als auch künftig auf „voreingenommene Richter“ zu stoßen.
Es sei möglich, daß viele Anwälte keine Fälle aus dem rechtsradikalen Spektrum übernehmen wollten, bestätigt Asko Witthuhn von der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer. Bloß habe dies nichts mit den von Siegerist angeführten Gründen zu tun, sondern damit, daß es den Anwälten oft schwerfalle, „ein Vertrauensverhältnis zu dem Mandanten aufzubauen“.
Siegerist, dessen Anwalt Günther Ossmann ihm seit dem 1994er Verfahren treu geblieben ist, taucht nicht im Verfassungsschutzbericht auf, so der Hamburger Verfassungsschützer Ernst Uhrlau. Er bezeichnet Siegerist als „Ein-Mann-Unternehmen“. In rechtsextremen Kreisen gelte er als „schillernde Figur“, der es „nur um Geldbeschaffungsaktionen“ gehe.
Das macht ihn aber noch nicht zum geschäftstüchtigen Antirassisten. Siegerist sei, so Andreas Speit, Mitarbeiter der Zeitung „Der Rechte Rand“, bekannt als ehemaliger Springerpresse-Journalist und Autor der Bücher „Oder-Neiße. Verzicht bleibt Verrat“ und „Willy Brandt – Das Ende einer Legende“. Seine Aktivitäten hat Siegerist seit 1991 nach Lettland verlegt, wo er im Oktober 1995 mit der von ihm gegründeten Partei „Für Lettland“ drittstärkste Kraft im Parlament wurde.
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