: Yesterdays Golem
■ Kammerspiele: Bruce Myers inszenierte ein nettes Märchen aus H. Leivicks „Der Golem“
Ein wenig erinnert Bruce Myers Inszenierung des Golem-Mythos an den Film Enemy Mine, und zwar nicht nur, weil der lehmbekleckerte Ingo Hülsmann anfänglich einige Ähnlichkeiten mit dem Klauenwesen aus dem All hat, das sich mit seinem Todfeind Mensch auf einem fernen Planeten ungewollt arrangieren muß. Die Konfrontation von Unversöhnlichem, das sich im Erkennen von Gefühlen auflöst – hier zwischen dem vom Rabbi Löw geschaffenen Hilfsgeist Golem und dessen Tochter –, entwickelt in der an den Kammerspielen adaptierten Version von H. Leivicks Drama eine stark hollywoodeske Note.
Auch der Tod des Wesens, das aber eine gute Tat hinterläßt, erfüllt mehr die Dramaturgie eines SF-Märchens als eines Sprechstückes: eines Märchens von den selbstregulierenden Kräften der Seele, verpackt in eine karg-mythische Atmosphäre und eine einfache Geschichte von Gut/Unwissend/Böse.
Bruce Myers, ein genialer Schauspieler aus Peter Brooks Ensemble, besitzt viel Liebe zu dem jüdischen Mythos vom Prager Rabbi und seinem Kunstmenschen, der in der Aufarbeitung von Gustav Meyrink weltberühmt wurde, aber leider wenig Mut, den Golem tatsächlich als Metapher zu behandeln. Isaac Bashevis Singers im Programmheft abgedruckten Gedanken zu einem Golem im Atomzeitalter, bleiben leider unbeseelt.
Stattdessen führen betuliche Menschen in historisierenden Kostümen einen Mythos auf, der nur dadurch seine Brechung erfährt, daß der Golem die Geilheit entdeckt und sich seine Gefühle von platonischer Liebe zu Geschlechts-träumereien wandeln. Ingo Hülsmann schafft immerhin die tragische Wandlung vom Werkzeug zum Lustmenschen mit Glanz, aber für über zwei Stunden freundliches Erzähltheater ist das nicht genug.
Die Karikatur eines bösen Christen, ein stereotyp patriachaler Rebbe, eine weibliche Voodoo-Erscheinung, die den persönlichen Schrecken eines Pogromerlebnisses monoton oder beschwörend wiederholt, und einige „Erlösergestalten“ plus Giora Feidman als Giora Feidman bevölkern das Stück, ohne jemals die Frage zu klären, was das alles eigentlich soll. Wenn dann plötzlich der von den Nazis ermordete Hamburger Designer Friedrich Adler auftaucht und in vier Sätzen sein Leiden erzählt, weiß man wenigstens: das hier ist die Aktualisierungsstelle.
So bleibt dies Stück eine ordentlich inszenierte verpaßte Chance. Im Geiste Singers könnte man es vielleicht nochmal versuchen.
Till Briegleb
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