piwik no script img

Mieterschutz? Nicht für Sie!

■ Städtische Villen werden versilbert, ein Vorkaufsrecht für Mieter gibt's nicht / Das Geld für selbst finanzierte Reparaturen ist auch futsch Von S. Koch

Die Hansestadt Hamburg als sozialdemokratische Hauseigentümerin: Jahrelang ließ sie stadteigene Villen gammeln und deren Mieter die Instandsetzung selber zahlen. Im Gegenzug blieben die Mieten niedrig. Vor zwei Jahren gab's Krach: „Spottmieten für Villen in bester Lage“, zeterten Hamburgs Medien. Nach altbekannter Manier zieht der Senat den Kopf aus der Schlinge: Er läßt andere seine Fehler ausbaden. In diesem Fall die Mieter – sie werden nun auf die Straße gesetzt. Dabei definierte die Stadt auch einen schwerbehinderten arbeitslosen Mieter als nicht schutzwürdig.

Für Pit Goldschmidt ist Hamburgs Sozialdemokratie seitdem ein Reizwort. Seine Familie bewohnt seit 50 Jahren die Dachgeschoßwohnung einer Villa in der Grottenstraße 9 (Othmarschen). Goldschmidt ist Jude, seine Eltern hatten die Wohnung zugewiesen bekommen, als sie aus den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz zurückgekehrt waren. Die Villa hatte laut Goldschmidt bis 1938 einer jüdischen Familie gehört; die war von den Nazis ermordet worden. Das Haus fiel an die Stadt. „Die hat dafür keinen Pfennig zahlen müssen“, so Goldschmidt.

Wohl aber die Mieter: Seine Eltern hätten den Ausbau des Dachgeschosses selber finanziert, so Goldschmidt. Auch die Familie unter ihm hat nach eigener Rechnung in den 20 Jahren, die sie dort wohnt, über 70.000 Mark in die Wohnung gesteckt. Verlorenes Geld, wie sie jetzt wissen: Zum Februar hat die Stadt das Gebäude verkauft. Und der neue Eigentümer hat den Bewohnern bereits mitgeteilt, daß sie möglichst bald ausziehen sollen.

Jahrelange Schriftwechsel und eine Menge Versprechungen waren dem Verkauf vorweg gegangen: Langfristige Mietverträge oder ein Kaufrecht hatten die Mieter der Grottenstraße schon vor Jahren als Gegenleistung für ihre Kosten gefordert. Das war jedoch abgelehnt worden. Begründung: Die Stadt sei noch im Unklaren, ob sie die Häuser erhalten wolle. Daher habe man auch nicht in die Instandhaltung investiert, erklärte auf Nachfrage Rainer Wiemers, Leiter der Präsidialabteilung in der Finanzbehörde. Eine Unklarheit, die verflog, als im Herbst 1992 der Skandal um die „Dumpingmieten“ die Schlagzeilen eroberte. Plötzlich entschied der Senat, die Villen zu verkaufen. Aber nicht mit Vorkaufsrecht für die Bewohner, sondern zum Höchstgebot.

„Im Falle einer Veräußerung müssen sie nicht befürchten, kurzfristig Ihre Wohnung verlassen zu müssen“, hatte damals die Finanzbehörde versichert, der neue Eigentümer werde verpflichtet, die Mietverhältnisse zu übernehmen. Im Sinne der sozialen Ausgewogenheit habe der Senat überdies beschlossen, Mietern, die über 60 Jahre alt seien und ein geringes Einkommen hätten, einen erweiterten Kündigungsschutz über 15 Jahre zu sichern.

Pit Goldschmidt weiß jetzt, wieviel diese Versprechungen wert sind. Er wird in diesem Jahr 60, ist arbeitslos und schwerbehindert. Doch ein offenbar wichtigeres Kriterium erfüllte er nicht: Er weigerte sich, ein fünfseitiges Formblatt über seine persönlichen Verhältnisse auszufüllen. Goldschmidts Begründung: Weil aus der Finanzbehörde gezielte Informationen über seine Mitbewohner an die Presse weitergegeben worden seien, habe er diese Auskünfte verweigert. Allerdings hatte er der Behörde geschrieben, daß er schwerbehindert und arbeitslos sei.

Diese ignorierte diese formlose Mitteilung jedoch. „Da Sie keine Gründe vorgetragen haben, gehen wir davon aus, daß ein gesteigerter Mieterschutz in Ihrem Fall nicht zu vereinbaren ist“, so deren Antwort. Und auch Bürgermeister Henning Voscherau ließ Goldschmidt mitteilen: „Alle Mieter des Hauses erfüllen diese sozialen Kriterien nicht.“

Vor wenigen Tagen bekamen die Bewohner der Grottenstraße Post vom neuen Eigentümer. Er wolle das Haus mit seiner Familie nutzen und deshalb die Mietverhältnisse beenden. Inzwischen weiß Goldschmidt auch, daß die Versprechungen der Stadt, für sie gelte nach dem Verkauf eine zehnjährige Kündigungssperre, auch nicht zutrifft. „Das gilt nur, wenn die einzelnen Wohungen in Eigentum umgewandelt werden“, so Sylvia Sonnemann von Mieter helfen Mietern. Wenn der Eigentümer das ganze Haus für sich nutzen wolle, müßten die jetzigen Mieter innerhalb eines Jahres die Wohung räumen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen