Sanssouci: Vorschlag
■ Werkschau: Im Stükke-Theater zeigt Jon Flynn seine liebsten Geschichten der Vergeblichkeit
Aufgewachsen an der Sonne in Luft und Freiheit – dann in enge Schachteln gezwängt, achtlos fortgeworfen und zertreten. Den Tränen nahe, blickt Jon Flynn ins Publikum. „Haben Sie jemals überlegt, wie es ist, eine Zigarette zu sein?“ In eine riesige Schachtel eingeklemmt, tanzt er ein unbeholfenes Tänzchen. Unwillkürlich denkt man an die strippende Zigarettenschachtel in der Lucky-Strike-Werbung. Aber diese Packung reizt nicht auf, sie klagt an: „Was hat die Zigarette euch eigentlich getan?“
Seit fünf Jahren macht Jon Flynn Performances in Berlin. Jetzt präsentiert er mit „Some Flowers for You“ eine Kollektion seiner Lieblingsstücke. Zum 100. Mal kämpft „A Doomed Silver Ship“ im Tango-Rhythmus mit den reißenden Wellen, und das Publikum markiert den Seemannschor. Aber auch das schönste Stück will irgendwann keiner mehr hören, geschweige denn mitsingen. „Jämmerlich!“ stöhnt der Performer und verspricht, im nächsten Programm werde das Schiff aber nun wirklich nicht mehr vorkommen. Es hat eben alles seine Zeit.
Neueren Datums ist „A Creature Clock“, ein Lied über die Leiden einer Uhr. Zifferblätter sehen dich an. Flynn hat ein Herz für Gegenstände, und wenn sein langes, bleiches Gesicht mit dem traurigen Clownsmund aus einer Wanduhr blickt, dann glaubt man wieder an das Lied in allen Dingen. „Flower Power!“ ruft eine welkende Sonnenblume mit letzter Kraft und formt das V-Zeichen gegen den anrollenden Traktor.
Vergänglichkeit und Vergeblichkeit sind Flynns Lieblingsthemen. Seine Stücke tendieren oft zur komischen, öfter zur dunklen Seite des Grotesken. Putzige Miniaturen wechseln ab mit pathetisch rezitierten Texten von preziöser Wortgewalt: „Trostlosigkeit stieß ihre schartige Kralle durch mein pergamentenes Gehirn...“
Zwischendurch, beim obligatorischen Handschuhwechsel, fällt Flynn dann in einen charmanten britischen Plauderton, verteilt UK-Pappflaggen und klagt über das Wetter: „Ich will das Ozonloch stopfen! Hautkrebs, herbei!“ Als nostalgische Blütenlese ist „Some Flowers for You“ trotz einiger Längen sehenswert. Aber weil Flynns Shows alle nach demselben Muster gestrickt sind, müßte endlich einmal etwas ganz anderes kommen. Für das nächste Programm im Juli verspricht der Performer „neues Material“. Hoffentlich bleibt es dabei, und er läßt das Silberschiff nicht zum 101. Mal vom Stapel. Miriam Hoffmeyer
„Some Flowers for You“, von und mit Jon Flynn, in englischer Sprache. Bis 25. März, Fr.–Mo., jeweils 20.30 Uhr, Stükke-Theater, Hasenheide 54, Kreuzberg
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