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Schock durch Sojabohnen

Im Gentech-Labor kreierte Superbohne kann lebensbedrohliche Allergien auslösen  ■ Von Manfred Kriener

Gentechnisch manipulierte Sojabohnen des Pioneer-Konzerns können schwere allergische Symptome bis hin zu lebensbedrohlichen Schockreaktionen auslösen. Erstmals wurde jetzt von einem anerkannten Wissenschaftlerteam aus den USA konkret nachgewiesen, wie gefährlich die Neukonstruktion von Lebensmitteln am Reißbrett der Genlabors sein kann. Empfindliche Konsumenten, die arglos die Sojabohnen gegessen hätten, wären in eine möglicherweise tödliche Falle gelaufen.

Der spektakuläre Bericht über das allergene Potential von Sojabohnen – die glücklicherweise noch nicht auf dem Markt waren – wurde im US-Mediziner-Fachblatt New England Journal of Medicine nur zwei Tage nach der Novel- Food-Entscheidung des Europaparlaments veröffentlicht. Die Euro-Abgeordneten in Straßburg hatten am Dienstag trotz heftiger Proteste von Verbraucherverbänden und Umweltgruppen beschlossen, daß genmanipulierte Lebensmittel nur im Ausnahmefall gekennzeichnet werden müssen. Sie sind damit in der Regel für den Verbraucher von natürlicher Ware nicht zu unterscheiden.

Hersteller der genmanipulierten Sojabohnen ist der US-Saatgut-Konzern „Pioneer Hi-Bred International“ aus Johnston, Iowa. Genchirurgen von Pioneer hatten ein Gen aus der brasilianischen Paranuß auf die Sojabohne übertragen. Ziel der Genmanipulation war die Verbesserung des Nährwerts der eiweißreichen Pflanze. Die Sojabohne ist ein wertvolles Lebensmittel, ihr fehlen aber die Aminosäuren Methionin – es zählt zu den essentiellen, also lebenswichtigen Aminosäuren – und Zystein. Um den „Mangel“ zu beheben, wurde der Sojabohne ein Gen der Paranuß implantiert, das für die Herstellung des methionin- und zysteinreichen Proteins 2s- Albumin verantwortlich ist. Das Albumin-Gen der Paranuß ist versuchsweise auch schon auf Raps, Bohnen und Wicken übertragen worden, gehört also zum Lieblingsspielzeug der Branche.

Bei den Sojabohnen klappte die Genübertragung gut. Doch offenbar wurde nicht nur der Erbträger für das neue Protein eingeschleust, sondern auch die allergene Potenz der Paranüsse. Der genetische Unfall blieb zunächst unbemerkt. Im Tierversuch erwiesen sich die neuartigen Sojabohnen als gut verträglich. Erst jetzt haben Ernährungswissenschaftler der Universität Nebraska die Gefahr erkannt.

Die Forscher entdeckten, daß Versuchspersonen mit einer Nußallergie auf die Sojabohnen ebenfalls stark allergisch reagierten. Bei Hauttests zeigten die nußsensitiven Testteilnehmer selbst bei starken Verdünnungen der Soja- Pflanzenextrakte noch deutliche Reaktionen. Auch mit Hilfe von Bluttests wurde die allergene Potenz der genmanipulierten Pflanze bestätigt. Die Forscher verzichteten darauf, die Versuchspersonen von der Gentech-Sojabohne kosten zu lassen. „Dies würde ein Risiko für diese Menschen bedeuten. Die meisten von ihnen entwickeln lebensbedrohliche Symptome, wenn sie versehentlich Paranüsse essen“, heißt es in dem Forschungsbericht.

Etwa 15 Prozent der Deutschen sind nach Angaben des Bundesverbandes der Betriebskrankenkassen gegen bestimmte Nahrungsmittel allergisch. Allergien gegen Nüsse zählen zu den am häufigsten auftretenden.

Die Veröffentlichung des Forschungsberichts hat in den USA die Diskussion um die Kennzeichnung genmanipulierter Lebensmittel neu entfacht. Kritiker sehen sich bestätigt: Die von den Geningenieuren neu kreierten Pflanzen sind gefährlich. Der ahnungslose Verbraucher wisse nämlich nicht, daß ein bestimmtes gengestyltes Nahrungsmittel Bestandteile ganz anderer Pflanzen enthalte. Der Molekularbiologe Steve Taylor von der Universität Nebraska – Mitautor des Berichts im New England Journal – bewertet den Fall der Sojabohne dagegen als Musterbeispiel erfolgreicher Forschung. Mit seinen Untersuchungen habe er demonstriert, wie ein gefährliches Nahrungsmittel vom Markt ferngehalten werden könne.

Taylor vergaß dabei allerdings, daß die von seiner Forschergruppe durchgeführten Tests freiwillig waren. Unter den gegenwärtigen gesetzlichen Bestimmungen müssen die Gentech-Firmen der USA das Gefahrenpotential ihrer Pflanzen nämlich nur dann austesten, wenn es „Gründe für einen Verdacht“ gibt. Aus Kostengründen neigen die Firmen dazu, den Aufwand zu minimieren.

Weltweit werden die Schutzbestimmungen in der Gentech-Industrie derzeit mehr und mehr abgebaut. Zugleich ist die Zahl der Experimente mit genmanipulierten Pflanzen in den letzten Jahren explodiert und kaum mehr überschaubar. Fieberhaft wird überall versucht, mit eingeschleusten Genen neue Pflanzen zu schaffen, die eine bessere „Wachstums-Performance“ zeigen, gegen Pestizide resistent oder frostunempfindlich sind, einen höheren Nährwert haben oder länger frisch bleiben.

Nach der aufregenden Entdeckung der allergenen Sojabohne erwarten Gentech-Kritiker wie -Anhänger möglicherweise weitgehende rechtliche Konsequenzen durch die US-amerikanische Aufsichtsbehörde FDA. Im Editorial des New England Journal warnt die Wissenschaftlerin Marion Nestle indessen vor allzu großen Hoffnungen: „Im gegenwärtigen Klima der Deregulation erscheint es unwahrscheinlich, daß neue Kennzeichnungsvorschriften erlassen werden.“ Nestle weist zugleich darauf hin, daß das allergene Potential vieler Bakteriengene, die in den einschlägigen Experimenten der Zunft häufig auf Pflanzen übertragen werden, noch weitgehend im dunkeln liegt. Im Dunkelfeld des Restrisikos befand sich bis zum letzten Donnerstag auch die Sojabohne mit ihrem Nuß-Gen. Molekularbiologe Steve Taylor: „Die Paranuß hat mehr als 1.000 verschiedene Proteine. Pioneer war nur an einem einzigen davon interessiert. Es ist schon ziemlich unglücklich, daß gerade dieses eine sich als allergen entpuppte.“

Pioneer erklärte nach Veröffentlichung der Untersuchungen, daß es seine Sojapflanze nicht auf den Markt bringen werde. Dafür liegt bei der EU in Brüssel ein Antrag der Firma Monsanto auf dem Tisch, die genmanipulierte Sojabohnen „in Verkehr“ bringen will. Die Pflanzen wurden gegen das Totalherbizid „Roundup“ resistent gemacht. Eine Kennzeichnung wird nicht erwogen.

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